Ein 360 Grad Feedback dient der Führungsentwicklung. Es hilft Führungspersonen, ihr Führungsverhalten zu reflektieren und wirksam weiterzuentwickeln. Wer Feedback annimmt, kann seine Außenwirkung besser einschätzen und verkleinert den „blinden Fleck“: was andere an mir sehen, aber für mich nicht sichtbar ist. Das steigert die eigene Sicherheit im Auftreten. Da dieses Thema sehr umfangreich ist, behandele ich im ersten Teil „warum das 360 Grad-Feedback für die Führungsentwicklung so wichtig ist“. Im zweiten Teil zeige ich Ihnen dann den optimalen Ablauf eines 360 Grad-Feedbacks.
360 Grad-Feedback: den blinden Fleck verkleinern
Ein solches Rundum-Feedback bedeutet, dass Führungspersonen Rückmeldung aus verschiedenen relevanten Perspektiven bekommen:
- von sich selbst in einer geführten Selbstreflektion
- von den Personen, die man führt
- von Kollegen und Kunden (internen oder externen)
- von eigenen Vorgesetzten.
Das Feedback der eigenen Mitarbeitenden hat dabei für die eigene Führungsentwicklung den größten Wert.
Vorteile des Feedbacks mit standardisierten Fragebögen
Feedback können wir in eigenen Worten geben oder in standardisierten Fragebögen. Bei einem Feedback in einem offenen Format können die Feedbackgeber gut ihre individuellen Erwartungen und Wahrnehmungen zurückspiegeln. Diese Form ist aber auch abhängig davon, wie gut sich die Personen ausdrücken können. Ein Feedback anhand von Fragebögen schränkt die individuelle Prägung ein, ermöglicht aber auch weniger geübten Personen, ihre Rückmeldung zu formulieren.
Bei der Interpretation von Ergebnissen aus Fragebögen helfen Referenzwerte: Wenn zum Beispiel die Mitarbeiter die Verlässlichkeit ihrer Führungskraft auf einer Skala von 1 bis 10 mit einer 8 bewerten – ist das dann viel oder wenig? Ohne einen Referenzwert ist diese Rückmeldung nicht brauchbar. Standardisierte Fragebögen bieten daher Referenzwerte zur Orientierung. Daraus können wir erfahren, dass nur wenige Führungskräfte einen ähnlich hohen Wert in ihrem Feedback erhalten. Wir können jede Rückmeldung so gegen eine Normalverteilung vergleichen.
Kriterien für das Feedback zum Führungsverhalten
Diese Normierung spricht für den Einsatz von standardisierten Fragebögen. Schauen wir auf die Skalen der meisten angebotenen Verfahren, dann erscheinen mir die Kriterien für ein Führungsfeedback durchaus plausibel. Ich verwende für Feedback zum Führungsverhalten das Bochumer Inventar zur Führungsbeschreibung. Dieses Verfahren spiegelt das Feedback in 13 Skalen.
Die Skalen für das Feedback beschreiben zentrale Verhaltens- und Kompetenzmerkmale für wirksame Führung. Für jede Skala gilt, dass ein höherer Wert eine höhere Kompetenz widerspiegelt. Ein „zu hoch“ gibt es nicht. Alle Skalen sind aber so normiert, dass die meisten Rückmeldungen im mittleren Bereich liegen und hohe Werte auch eine als überdurchschnittlich wahrgenommene Kompetenz spiegeln.
360 Grad-Feedback ist Maßnahme der Führungsentwicklung, nicht der Führungskräfteentwicklung
Ein Rundum-Feedback wird oft als eine Maßnahme zur Entwicklung der Führungskräfte gesehen. Ich halte das für zu kurz gegriffen. Vielmehr ist es ein sehr wirksames Instrument, die gesamte Führungskultur im Unternehmen insgesamt zu entwickeln. Dazu spielen verschiedene Faktoren zusammen:
- Feedback nehmen fördert die Offenheit
- Vorgesetzte relativieren ihre Sicht auf die Führungskompetenzen ihrer Mitarbeitenden durch ein Rundum-Feedback
- Das anonyme Feedback aus dem Fragebogen wird durch moderierte (!) face-to-face Feedback-Runden ergänzt
Offenheit
Die Bereitschaft, Feedback anzunehmen und die eigenen Schlüsse daraus mit den Mitarbeitenden zu teilen fördert die Offenheit im Umgang mit Führung und stärkt ein gemeinsames Führungsverständnis. Wichtig dazu ist, dass diese Bereitschaft auf allen Führungsebenen gezeigt wird. Führungskräfte der unteren Ränge werden sich leichter diesem Feedback stellen, wenn sie erleben, wie ihre Vorgesetzten das Gleiche tun. Gut verstandenes Führungsfeedback beginnt beim Vorstand.
Rolle der Vorgesetzten
Wenn Vorgesetzte von Führungskräften diesen ein Feedback über ihr Führungsverhalten geben, dann sagt das mehr über die Vorgesetzten selbst als über die Feedbacknehmer. Recht häufig wissen Vorgesetzte die Fragen im Feedbackbogen gar nicht richtig zu beantworten und merken so, dass sie das Führungsverhalten ihrer Mitarbeiter nur ausschnittweise wahrnehmen. Das Verhältnis zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden ist für die Vorgesetzten der Führungskraft nur vermittelt sichtbar.
Darum liegt in der unmittelbaren Rückmeldung ihrer Vorgesetzten auch wenig Entwicklungspotenzial für Führungskräfte. Viel wichtiger ist der Abgleich des Fremdbildes der Vorgesetzten mit dem der Mitarbeiter. Hier sehen die Vorgesetzten ihre blinden Flecken in der Führung ihrer Führungskräfte. Aus der Diskussion entstehen wertvolle Impulse darüber, wie die Führungsebenen wirksam zusammenarbeiten können. Das ist Führungsentwicklung.
Moderierte Feedback-Runden nach dem Fragebogen
Ein Feedback aus standardisierten Fragebögen ist sehr gut geeignet, das wertschätzende Gespräch zwischen Führungskräften und ihren Mitarbeitern in Gang zu bringen. Nachdem ein Feedbacknehmer die Rückmeldung aus den Fragebögen erhalten hat, stellen sich Fragen zu den Abweichungen zwischen dem eigenen Selbstbild und den erhaltenen Fremdbildern. Wer diese Fragen thematisiert, lässt sich auf die Entwicklungschancen ein. Die Auswertung der Feedback-Bögen ist also nur der Anfang, nicht das Ende des Feedbackprozesses.
Vertraulichkeit im 360 Grad-Feedback zur Führungsentwicklung
Feedback braucht Anonymität. Ehrliche Rückmeldungen können wir nur erwarten, wenn niemand befürchten muss, dass die eigenen Rückmeldungen an andere Personen offengelegt werden. Ein Feedbacknehmer erhält also immer nur aggregierte Informationen über das Feedback der eigenen Mitarbeiter, nicht die Rückmeldung der einzelnen Personen.
Ebenso wichtig ist die Vertraulichkeit des Feedbacks. Die Rückmeldung aus dem 360 Grad Feedback ist eine Information für die betreffende Person, nicht für das Unternehmen. Wer befürchten muss, dass die erhaltenen Informationen Dritten bekannt werden und hinter dem eigenen Rücken verwendet werden, wird sich gegen das Feedback sperren. Dann verpufft der Entwicklungsimpuls. Die Auswertung gehört ausschließlich dem Feedbackgeber. Sie oder er entscheidet, welches Wissen er daraus mit Vorgesetzten und Mitarbeitern teilt.
Kein Instrument für die Führungskräfte-Auswahl
Diese Vertraulichkeit führt auch dazu, dass wir das 360 Grad-Feedback meines Erachtens nicht als Instrument zur Eignungsbeurteilung von Führungspersonen einsetzen sollten. Andere Experten empfehlen einen Einsatz des 360 Grad Feedbacks in der Auswahl von Kandidaten für Führungspositionen, ich befürchte, dass wir den positiven Impuls dieses Instruments damit zunichte machen.
Fazit
Ein 360 Grad-Feedback leistet einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung einer partnerschaftlichen Führungskultur. Wichtig dazu sind drei Voraussetzungen:
- Die Feedbacknehmer sind Eigentümer der erhaltenen Rückmeldungen. Nur sie entscheiden darüber, mit wem sie ihre Erkenntnisse teilen.
- Das Feedback dient der Weiterentwicklung des Führungsteams, nicht der einzelnen Führungskräfte. Dazu sollten sich alle Führungsebenen auf das Feedback einlassen.
- Das 360 Grad Feedback ist eingebettet in einen moderierten Rückmeldeprozess. Die Auswertung der Fragebögen ist nur der Anfang des Feedbackprozesses.
Im zweiten Teil dieses Artikels finden Sie meine Empfehlung für einen gelungenen Ablauf für ein 360 Grad Feedback in der Führungsentwicklung.