„Du musst nur dein Mindset ändern,“ Die Arbeit am Mindset wird in der Beratungs- und Coachingszene gerade viel diskutiert. Was kann der Begriff Growth Mindset in der Organisationsberatung leisten?
Diese Frage beschäftigt mich schon länger. Bisher konnte ich mit „Mindset“ wenig anfangen. Das Buch „Dramafreie Arbeitswelt“ von Holger Heinze bietet für mich eine neue Perspektive auf die Frage. Und hat mich ein bisschen zum Umdenken bewogen. Ich stelle das Buch hier vor und teile meine Gedanken zum „Mindset“.
Das tägliche Drama im Unternehmen
„So ein Theater!“ In allen Organisationen gibt es regelmäßig wiederkehrende Muster von Konflikten. Immer wieder spielt sich dabei dasselbe Drama ab: Menschen fühlen sich zurückgesetzt, geringgeschätzt, nicht ernst genommen oder übervorteilt. Personen suchen Schuld bei anderen und schüren den Konflikt an, andere sehen sich bemüßigt, zu schlichten, zu retten oder Dinge selbst in die Hand zu nehmen, für die eigentlich die Streithähne verantwortlich gewesen wären.
Holger Heinze kann davon nicht nur ein Lied singen, er hat gleich ein Buch darüber geschrieben, welche Dramen sich regelmäßig in Unternehmen abspielen. Allerdings bleibt er nicht dabei, das Drama zu beschreiben – er liefert Werkzeuge, wie Mitarbeiter und Unternehmen das Drama verlassen und aus einer festgefügten Geisteshaltung in ein so genanntes Growth Mindset kommen.
Regelmäßige Rollen im Drama-Dreieck
Blockierende Kommunikationsmuster in Unternehmen (wie auch in allen anderen Systemen) folgen sehr häufig einem bekannten Muster. Kommt es im Unternehmen zu einer bedrohlichen oder stressigen Situation, wählen die Personen unbewusst eine von drei typischen Rollen:
- Die Opfer-Rolle: Personen weisen alle Verantwortung von sich, zeigen sich ohnmächtig und erwarten Hilfe.
- Die Schurken-Rolle: Personen verteilen Schuld, Scham und Schande deutlich sichtbar an andere Personen.
- Die Retter-Rolle: In stressigen Situationen suchen Personen nach Harmonie, schlichten Streit, übernehmen Verantwortung für Probleme, werden dabei auch übergriffig und überschätzen ihre eigenen Kräfte.
Nicht selten wechseln Menschen zwischen diesen Rollen, oft auch im Sekundentakt. Die Dynamik in diesem Drama-Dreieck führt dazu, dass wir in einer problemorientierten Haltung, dem so genannte Fixed Mindset, agieren. Der Stressreiz führt zu einem unbewussten Reflex, eine dieser drei Rollen zu übernehmen. Und dann ist man drin in dieser Dynamik. Wir drehen uns weiter in Konflikt und Problem hinein und verlieren den Blick für Lösungen.
Die Gegenrollen im Growth Mindset
Eine Alternative zu diesem Drama-Dreieck könnte die so genannte Empowerment-Dynamik sein. Statt auf die Bedrohung durch einen Stressreiz mit einem Reflex zu antworten, schaffen wir es, unsere Trigger zu erkennen und bewusst zu reagieren. In einem wachstumsorientierten Mindset können wir ergebnisorientiert handeln. Statt der Opfer-Rolle übernehmen wir für uns die Gestalter-Rolle. Statt des Schurken, der unter Stress aggressiv wird, wählen wir die Rolle des Herausforderers für uns und unser Team. Und statt als Retter alles an uns zu ziehen, wählen wir die Rolle des Coachs, der uns und das Team unterstützt.
„Mindset“ ist mein persönliches Triggerwort
Klingt doch super, oder? Du entscheidest selbst, ob du ins Drama einsteigst oder eine positive Dynamik wählst. Ist alles nur eine Frage deines Mindsets!
Bamm! Da ist es. „Mindset“ ist mein persönliches Triggerwort. Da steigt gleich die Oberflächenspannung, wenn ich „Mindset“ höre. Ich denke sofort an die durchtrainierten Life-Coaches, die dir weismachen, dass du alles erreichen kannst, wenn du nur das „richtige“ Mindset hast. „Und das kannst du selbst entwickeln – Starte noch heute dein persönliches Coaching für 2000 € im Monat.“
In der systemischen Sicht ist kein Platz für „Mindset“
Als systemischer Organisationsberater schaue ich grundsätzlich auf die Kommunikationsmuster in Organisationen und auf die Strukturen, die solche Muster stabilisieren. Unternehmenskultur ist für mich das Ergebnis von gewachsenen Mustern, und Kulturveränderung passiert über Arbeit an den Strukturen. Das ist Gemeingut in der Systemtheorie der Organisationen. Für „Mindset“ ist da kein Platz.
Mindset ist ein Mythos und dient dazu, die Probleme der Organisationen auf ihre Mitglieder abzuwälzen. So sieht man das der systemischen Organisationslehre (1).
Und jetzt lese ich vom „Growth Mindset“ in der Organisationsberatung. Wie kann ich diesen Begriff für meine eigene Arbeit anschlussfähig machen?
Ich bleibe skeptisch, aber ich lasse mich darauf ein und lese bei Holger Heinze über die Entwicklung des psychologischen Konzepts. Mindset kann man nicht verordnen, heißt es dort, aber man kann Kompetenzen entwickeln, die einem helfen, in kritischen Situationen in ergebnisorientiertes Handeln zu kommen. OK, das klingt für mich schon mal nachvollziehbar.
Fixed Mindset auflösen, Growth Mindset entwickeln
Heinze spricht von zwei Geisteshaltungen: dem so genannten Fixed Mindset und dem Growth Mindset. Im Fixed Mindset schauen Menschen auf sich als fertige Wesen. „Wir sind, was wir sind und können, was wir können.“ Herausforderungen, die über diese Ressourcen hinausgehen, vermeidet man lieber.
Mit einem Growth Mindset sehen wir uns als grundsätzlich unperfekt und bereit, uns mit jeder Herausforderung weiterzuentwickeln. Anstrengung führt zu Verbesserung und Wachstum.
Wenn ich auf mich selbst schaue, dann merke ich, dass ich ziemlich oft zwischen beiden Mindsets changiere. Manchmal begegne ich Krisen mit einer Haltung der Begrenztheit und ziehe mich zurück. Den plötzlichen Auftragseinbruch in der Coronaphase habe ich so erlebt.
Aber manchmal gelingt es mir aber auch, eine Art „jetzt erst recht“-Haltung einzunehmen. Dann kann ich Reserven mobilisieren und positiv auf mein Netzwerk einwirken. Danach bin ich wieder stolz darauf, was ich erreichen kann. Ich muss zugeben, dass meine eigene und die Tagesform meiner Familie dabei eine wichtige Rolle spielen.
Wenn es mir gelingt, bei Stresssituationen in ein Growth Mindset zu kommen, dann kann ich mit Herausforderungen und Bedrohungen langfristig besser umgehen.
Denn diese Fähigkeit gilt natürlich nicht nur für mich als Einzelperson, sondern auch für ganze Teams und Organisationen. Diese Überlegung knüpft bei mir an meine Erfahrungen mit der lösungsfokussierten Beratung an. Diese Art der Beratung habe ich bei Insa Sparrer und Matthias Varga von Kibéd gelernt (2).
Growth Mindset in der Organisationsberatung
Im Beratungsalltag genügt es nicht, Führungskräften aufzuzeigen, dass die Strukturen der Organisation eine gewünschte Entwicklung behindern. In sehr vielen Situationen haben weder ich als Berater noch meine Klienten als Projektmanager oder Führungskräfte das Mandat, dysfunktionale Strukturen zu verändern.
In solchen Beratungssituationen ist die systemtheoretische Erkenntnis wichtig, dass der eigene Handlungsspielraum begrenzt ist und man sich nicht dem Druck aussetzen muss, „against all odds“ die Welt oder das Unternehmen retten zu müssen.
Andererseits ist niemandem gedient, wenn man feststellt, dass die Umstände nun einmal so sind wie sie sind und man eben nichts machen kann. Ich kann schließlich nicht regelmäßig meinen Klienten empfehlen, ihren Job zu kündigen. Es geht eben darum, innerhalb der begrenzten Handlungsspielräume ergebnisorientiert zu handeln.
Praktische Werkzeuge im Buch
Und dazu ist es durchaus hilfreich, über einen Lösungsfokus oder ein Growth Mindset nachzudenken. Vor diesem Hintergrund freue ich mich, in dem Buch von Holger Heinze eine praktische Sammlung von Werkzeugen zu finden, mit denen Personen, Teams oder Organisationen aus einer Drama-Situation herausfinden oder vermeiden, in eine solche Blockade zu rutschen.
Die Tipps und Life-Hacks sind primär aus dem Werkzeugkoffer der Psychologen, weniger aus der systemtheoretischen Sicht auf Organisationen. Also eine ideale Ergänzung zu meinem Bücherregal. Und mit wertvollen Denkanstößen für mich, wie ich das Konzept vom Growth Mindset in meine Organisationsberatung einfließen lassen kann.
Ein Hack zielt zum Beispiel darauf ab, persönliche Trigger frühzeitig zu bemerken und die kritische Situation kurzfristig zu unterbrechen. So kann man die unbewusste Reaktion des Hirns austricksen. Stress aktiviert nämlich das limbische System im Hirn (der „alte Bereich“ im Stammhirn), und diese Reaktion ist schwer zu kontrollieren. Aktivieren wir aber in diesem Moment den kognitiven Bereich in der Hirnrinde, dann lenken wir das Hirn von dieser Stressreaktion ab.
Der Trick zur Stressbewältigung heißt: „Suche fünf rote Dinge!“ Für die eigentliche Lösung des Problems hat das keine Bedeutung. Aber wenn man sich im Raum umschaut, um „fünf rote Dinge“ zu finden, ist das Hirn für ein paar Sekunden beschäftigt. Und das kann reichen, den unkontrollierten negativen Hirnreflex zu vermeiden.
Kompetenzen in Veränderungssituationen
Der Werkzeugkoffer von Holger Heinze hilft auch in der Organisationsentwicklung. Denn wenn wir Prozesse und Strukturen in der Organisation verändern, führt das im Alltag immer wieder zu Stress unter den Beteiligten. Dann brauchen wir Kompetenzen, mit diesem Stress zu arbeiten. Haben wir die nicht, ist die Gefahr groß, dass Prozessverbesserungen in der Organisation gleich wieder aufgegeben werden, weil sich das Drama in den Vordergrund drängt.
Fazit: Ich habe meine Scheu vor dem Triggerwort „(Growth) Mindset“ verloren. Und ein paar psychologische Werkzeuge im Moderationskoffer helfen auch in der systemischen Organisationsberatung.
Hier finden Sie das Buch von Holger Heinze: „Dramafreie Arbeitswelt“
In meinem Trainingsangebot „Verantwortung übernehmen“ arbeiten wir intensiv mit der lösungsfokussierten Haltung.
Anmerkungen:
(1) Judith Muster u.a.: „Die Humanisierung der Organisation„; Torsten Groth und Timm Richter: „Wirksam führen mit Systemtheorie“
(2) Insa Sparrer und Matthias Varga von Kibéd: „Ganz im Gegenteil“ und „Systemische Strukturaufstellungen„; Ben Furman und Tapani Ahola: „Es ist nie zu spät, erfolgreich zu sein“
(Bild von John Hain auf pixabay)