Warum entstehen überall improvisierte Prozesse mit Excel-Tabellen und Informationen in Bemerkungsfeldern?
Immer wieder greifen Teams zu improvisierten Hilfsmitteln wie Einträge in Textfelder, selbstgebauten Excel-Tabellen und handgeschriebene Zettel, um die Zusammenarbeit zu organisieren. Das macht die Arbeit intransparent und fehleranfällig. Und eigentlich will das auch keiner. Und doch sehe ich sie immer wieder, diese „Prozesse auf Trampelpfaden“. Solange man damit Ausnahmen oder Sonderfälle regelt, ist das kein Drama. Aber wenn analog koordinierte, improvisierte Prozesse zum Regelfall werden, bremst das die Organisation aus.
Trampelpfade helfen nur kurzfristig
Ich will dann erst einmal wissen, warum die Prozesse so gewachsen sind. Denn das muss ja einen Grund haben. Eine gewünschte Funktion beobachte ich dabei sehr häufig: Das Unternehmen will Bürokratie einhegen und verzichtet auf präzise Differenzierungen, die die Unternehmenssoftware eigentlich vorsieht. Das Problem: Damit beraubt man sich aber auch der Standardprozesse in dieser Anwendung, denn die funktionieren nur, wenn man das System so nutzt, wie sich die Macher das ausgedacht haben!
Dann braucht man andere Wege, die Zusammenarbeit zu steuern und nutzt stattdessen Ecxel-Tabellen oder Textfelder in der Anwendung. Was anfangs wie eine genial einfache Idee aussieht, bürokratische Umwege abzukürzen, wächst über die Zeit zu einem Bremsklotz in der Organisation.
Improvisierte Prozesse: Ein Beispiel aus meinem Berater-Alltag:
Ein Herstellbetrieb hat entschieden, die Lagerbuchhaltung zu vereinfachen. Statt die veredelten Rohteile nach jedem Fertigungsschritt als neues Zwischenprodukt ins Lager zu buchen, bleibt das Material über den gesamten Fertigungsprozess „Work in Progress“: Die Rohmaterialien werden beim ersten Fertigungsschritt ausgelagert und bis zur Montage mehrfach bearbeitet. Die Warenwirtschaft sieht also die Zwischenprodukte nicht.
Diese Verfahrensweise ist recht verbreitet, aber die verwendete Standardsoftware unterstützt das Unternehmen dabei nicht. Will man nämlich das Material aus mehreren Fertigungsschritten zur Endmontage kommissionieren, dann braucht das ERP-System für einen Kommissioniervorschlag Artikelnummern, Lagerplatz und Bestand aller Teile, die bereitgestellt werden sollen. Und die gibt es ja nicht.
Pest oder Cholera
Man hat also die Wahl: Entweder man nimmt einen hohen Aufwand für Materialbuchungen in Kauf, um jedes Teil in jedem Fertigungsschritt mit einer eigenen Artikelnummer und einem Bestand zu pflegen, oder man muss die Kommissionierung für die Montage improvisieren. Pest oder Cholera.
Und so entstehen improvisierte Prozesse. Die Maske mit der Fertigmeldung für die einzelnen Fertigungsschritte enthält ein Textfeld. Hier tragen die Maschinenführer ein, an welchem Platz im Pufferlager sie die Paletten mit der gefertigten Ware abstellen. Der Logistiker sucht dann die Angaben aus den verschiedenen Textfeldern zusammen, um die Packer durchs Lager zu schicken. Mit Papierzetteln. Digitalisierung zu Fuß.
Wie wird man improvisierte Prozesse wieder los?
Der ERP-Berater hat dazu einen Vorschlag: „Führe deinen Artikelbestand sauber und vollständig mit unserem System, dann kannst du auch alle Segnungen unserer Funktionen nutzen.“ Digitale Funktionen zum Preis von mehr Bürokratie.
Gerade Unternehmen im Mittelstand achten auf pragmatische Abläufe. Sie differenzieren nur so viel, wie ihnen nützlich erscheint. Und damit fahren sie in der Regel gut. Diesen Pragmatismus will man für die Digitalisierung nicht aufgeben.
Das bedeutet aber auch, dass man seine Prozesse nicht mit Standardsystemen steuern kann. Denn Standardsysteme kennen nur Standardprozesse mit vollständiger Differenzierung.
Pragmatisch aber geregelt
Pragmatische Unternehmer unterscheiden darum zwischen zentralen kaufmännischen Daten wie Artikel, Bestände, und Zahlungen auf der einen Seite und Daten zur Prozesssteuerung auf der anderen Seite, wie in dem genannten Beispiel der Lagerplatz im Pufferlager.
Buchungsrelevante Daten gehören in das ERP-System, alle anderen in eine getrennte Datenhaltung für Prozessinformationen. Ein Standardsystem für Workflow-Management kann mit diesen Informationen die Prozesse so steuern, wie das Unternehmen pragmatisch entscheidet. Individuell und unabhängig von vorgegebenen Standardprozessen.
Solche Systeme sind aber keine selbstgestrickten Excel-Tabellen für improvisierte Prozesse, sondern ordentlich geführte Datenbanken und Prozess-Anwendungen in der IT-Landschaft des Unternehmens.
Klare Trennung von ERP-Software und Prozess-Steuerung
Die Aufgabe des Prozesses ist es dann, die Steuerungsinformationen und Fachdaten aus verschiedenen Quellen zu orchestrieren und im ERP die Transaktionen anzustoßen, die dort notwendig sind. Die Menschen bedienen dann nicht mehrere Anwendungen, Excel-Tabellen, Datenbanken und Zettel, sondern nur noch eine Oberfläche der Prozessanwendung. Das nennen wir prozessgesteuerte Digitalisierung. Mehr darüber finden Sie hier auf meiner Website
Wenn Sie erfahren wollen, wie Sie dieses Konzept für Ihr Unternehmen nutzen können, dann laden Sie dazu hier den Fachartikel „Prozesse digital denken“ herunter. Oder nehmen Sie direkt Kontakt mit mir auf.