„Kennzahlen“ sind wie ein Zauberwort im Prozessmanagement: Wer die richtigen Kennzahlen beachtet, arbeitet angeblich produktiv. Dabei werden Kennzahlen schnell zum Fetisch. Zum falsch verstandenen Götzen und fehlinterpretiertem Berichtswesen. Ich sage: Richtig genutzt, helfen Kennzahlen beim Führen!
Kennzahlen dienen der Kontrolle – oder etwa nicht?
„Endlich belastbare Kennzahlen!“ Nie werde ich den Ausruf eines Direktors in einer großen IT-Organisation vergessen, als es um den Zweck von Prozessmanagement in seinem Betrieb ging. „Belastbar“ war das wichtige Attribut einer Kennzahl. Das sollte heißen: Die Kennzahl sollte nicht manipulierbar sein, Mitarbeiter und Teams sollten sich der Kontrolle nicht mit Zahlentricks entziehen können.
Wer sich einem solchen strengen Regiment der Kennzahlen unterworfen fühlt, wird wahrscheinlich durchaus erfinderisch, um die Berichte ein bisschen hübscher aussehen zu lassen. Das wichtigste Missverständnis über Kennzahlen ist nämlich, dass es dabei um Kontrolle geht. Aber es geht nicht um Kontrolle, sondern ums Beobachten.
Der Unterschied zwischen Kontrolle und Beobachten
Das ist ein feiner, aber wichtiger Unterschied:
Kontrolle ist ein Druckmittel der Hierarchie, Beobachten ist der Schlüssel zu wirksamer Führung.
„Führen“ bedeutet, die Arbeitsfähigkeit eines Systems auf Dauer zu halten oder zu steigern. Das System kann dabei eine Person sein (das ist dann „Selbstführung“), ein Team in einem Unternehmen, ein Gespann aus vorgesetzter Person und Mitarbeiterenden oder das ganze Unternehmen.
Wo Führung fehlt, lässt die Arbeitsfähigkeit ziemlich schnell nach. Da beschäftigt man sich mit sich selbst und vergisst die Kunden. Oder man verpasst wichtige Entwicklungen auf dem Markt. Da verbraucht man nach und nach mehr Zeit und Ressourcen für die Arbeit und lässt die Qualität schon mal schleifen. „Passt schon.“
Das hat nichts mit faulen Mitarbeitern zu tun. Es ist ein Wesensmerkmal von sozialen Systemen, dass sie eher beständig in sich ruhen, als sich aufzumachen zu neuen Ufern. Und es ist genau diese Erkenntnis, die den Unterschied macht zwischen Kontrolle und Beobachten. Es geht nicht darum, nachlässige Menschen zu disziplinieren. Ohne Beobachten kommt kein System aus der Komfortzone – selbst mit hochmotivierten Personen!
Kennzahlen im Prozessmanagement: beobachten, analysieren, sich verbessen
Nur wer sich beim Tun beobachtet, hat die Chance, sein Tun zu verbessern (oder auch nur das Level zu halten). Kennzahlen helfen Teams, sich beim Tun zu beobachten. Wohlgemerkt „sich zu beobachten“, nicht „beobachtet zu werden“. Controlling als Unternehmensfunktion unterstützt dabei, für jedes Team und jede Führungsebene die passenden Perspektive bereitzustellen.
Es gibt aber noch eine zweite Wesenseinheit von sozialen Systemen: Weil sie „naturgemäß“ lieber im Status quo bleiben als weiterzukommen, haben sie auch kreative Methoden entwickelt, Führung und Beobachtung zu „neutralisieren“. Auch diese Eigenart kann man an Kennzahlen beobachten: Wenn aus dem Beobachten von Kennzahlen ein Zahlenteppich wird, der erhoben, validiert, nachberechnet, diskutiert und freigegeben werden will. Dann ersetzt ein aufgeblähtes „Berichtswesen“ das wirksame „sich beobachten beim Tun“.
Anzweifeln, Ausreden, Ausweichen
Eine andere Methode habe ich selbst als Führungskraft im Unternehmen erlebt: In jedem Bereichsleitermeeting kam früher oder später die Frage auf, ob denn die Excel-Tabelle mit den Deckungsbeiträgen der Filialen wirklich stimmen. Irgendeine Ungereimtheit lässt sich in langen Tabellen nämlich immer finden – und schon ist die Diskussion auf einem anderen Spielfeld gelandet. Genial, oder?
Erkenntnisse für die Nutzung von Kennzahlen im Prozessmanagement
Darauf muss es also ankommen, wenn wir unsere Führung durch Kennzahlen unterstützen wollen:
- Wenn sie helfen sollen, dass „wir uns beim Tun beobachten“, dann müssen die Begriffe und Zahlen für alle im Unternehmen nachvollziehbar und verständlich sein. Wenn sie Orientierung geben sollen, dann müssen sie in der Lebens- und Arbeitswelt der Mitarbeiter anschlussfähig sein. „Sinn machen“. Dann werden sie auch akzeptiert.
- Führen bedeutet, den Fokus der Aufmerksamkeit auf das zu lenken, was für das System wichtig ist. Wenn wir einmal Kriterien benannt haben, die wir als relevant erachten, dann sollten wir dranbleiben. Ein häufig wechselnder Fokus verwässert die Führung.
Zum Schluss noch etwas Desillusionierung zum Thema Kennzahlen gefällig? Ein berühmtes Einstein-Zitat würde diesem Beitrag gewiss eine bibliophile Note verleihen:
„Nicht alles, was zählt, kann man zählen. Und nicht alles, was man zählen kann, zählt.“
Obwohl hundertfach dem Genie der Relativitätstheorie zugeschrieben, stammt dieser Satz vom amerikanischen Soziologen William Bruce Cameron (1919-2012). Ich finde, das schmälert seinen Wert keineswegs.
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