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Was ist besser: zentrale oder dezentrale Prozesse? Wann ist es sinnvoll, Services im Unternehmen zu zentralisieren, wann sind dezentrale Prozesse zu bevorzugen? In diesem Blogartikel erkläre ich, wie Sie die Strategien Zentralisierung und Dezentralisierung für die verschiedenen Optimierungsziele einsetzen können. Und so die richtige Entscheidung für die Frage „Prozesse zentralisieren oder dezentralisieren“ finden.

In den meisten Unternehmen werden Unterstützungsprozesse wie Einkauf, Personal oder Finanzen in zentralen Abteilungen gebündelt. Global aufgestellte Konzerne schaffen eigens dazu sogenannte Shared Service Center. Das sind gesonderte Unternehmenseinheiten, die solche zentralen Leistungen für alle Standorte und Geschäftsbereiche des Konzerns an einem Ort erledigen.

Vorteile und Nachteile zentralisierter Prozesse

Die Mitarbeitenden im Unternehmen erleben das mal als Fluch und mal als Segen. Einerseits müssen sie sich nicht mehr um Aufgaben kümmern, die mit ihrem eigentlichen Geschäft nichts zu tun haben. Andererseits können sie nicht mehr so handeln, wie sie wollen. Viele eingeschliffene Abläufe in den Teams des Unternehmens funktionieren nicht mehr wie gewohnt, weil die Zentraleinheiten ihre Prozesse standardisieren. Da geht Individualität und Flexibilität verloren.

Was früher auf Zuruf und „kurzen Dienstwegen“ funktionierte, braucht dann einen formalen Weg, „Sonderlocken“ gibt es nicht mehr. Bisher präferierte örtliche Lieferanten haben das Nachsehen, die Vernetzung der Standorte in ihr lokales Ökosystem geht dabei verloren. Zentralisierung geht häufig einher mit Klagen über Bürokratie, Inflexibilität und fachlich inkompetente Entscheidungen.

Optimiert Zentralisierung wirklich Prozesse?

Schauen wir aus einer Prozessperspektive auf Zentralisierung oder Dezentralisierung, dann erkennen wir darin zwei entscheidende Strategien der Prozessoptimierung. Und wenn wir von „Optimierung“ sprechen, dann stellt sich unweigerlich die Frage, was denn in welche Richtung „optimiert“ werden soll. Es gibt keinen allgemeingültigen Weg zur Prozessoptimierung, der Weg hängt immer vom Optimierungsziel ab.

Wir unterscheiden vier Optimierungsziele:

  1. Wirtschaftlichkeit (Ressourceneinsatz, Kosten, Emissionen)
  2. Schnelligkeit (Durchlaufzeit)
  3. Qualität (Liefertreue, Beschaffenheit, Kundenerleben)
  4. Variabilität (Variantenzahl, Variantenwechsel, Losgröße, Flexibilität)

Es ist nicht möglich, einen Prozess auf alle vier Ziele gleichzeitig zu optimieren. Also müssen wir uns entscheiden. Und vom Ziel der Optimierung hängt auch die gewählte Strategie ab.

Prozesse zentralisieren oder dezentralisieren: die Ziele sind entscheidend

Dezentralisierung ist eine passende Strategie, wenn Schnelligkeit oder Variabilität im Vordergrund stehen. Zentralisierung wird eher verwendet, wenn es um Qualität oder Wirtschaftlichkeit geht.

Vorteile dezentraler Prozesse: schneller und flexibler

Lokal in den einzelnen Unternehmenseinheiten ausgeführte Prozesse sind schneller, weil die handelnden Teams den Arbeitsvorgang nicht erst an eine Zentralabteilung weiterleiten müssen. Es gibt auch keine Wartezeit, bis die Zentralabteilung sich um diesen Fall kümmert. Die Person, die einen Kundenauftrag kümmert, kann auch gleich die Ersatzteile besorgen und die Rechnung für den Auftrag schreiben. Das geht schneller.

Da ein lokaler Ansprechpartner auch besser vertraut ist mit den jeweiligen Kundenanforderungen, kann sie oder er auch flexibler reagieren. Auch das ist ein Vorteil lokal organisierter Prozesse.

Vorteile zentraler Prozesse: wirtschaftlicher

Zentrale Prozesse sind meist wirtschaftlicher, weil das Unternehmen die dafür vorgehaltenen Ressourcen besser auslasten kann. Statt einen Einkäufer in jeder Niederlassung zu unterhalten, der zeitweise nicht ausgelastet ist, können mehrere Einkäufer in einer zentralen Einkaufsabteilung mehr Einkaufsvorgänge stemmen. Das spart Ressourcen.

Allerdings müssen wir auch berücksichtigen, dass durch die erforderliche Übergabe von Standort zur Zentraleinheit der Kommunikationsaufwand steigt und Kommunikationsfehler auftreten, was den Kostenspareffekt dieser „Economies of Scale“ reduziert.

Zentrale Prozesse erhöhen die Qualität

Zentrale Prozesse werden auch in Bezug auf die Qualität gerne bevorzugt. In einer Zentralabteilung kann man Personen mit ausgewiesener Expertise vorhalten, man kann das Wissen der Mitarbeitenden besser up-to-date halten. Und weil die Personen sich auf diese Prozesse konzentrieren, haben sie eine steilere Erfahrungskurve. Das schafft eine höhere Qualität der Zentralprozesse.

Aus Kundenprojekten in der öffentlichen Verwaltung weiß ich, dass ein Prozess zur Vergabe von Lieferantenleistungen voller Tücken ist. Da braucht es die Experten in der Vergabeabteilung, damit die Organisation nicht aufs Glatteis kommt.

Aber auch in Bezug auf die Qualität von Zentralprozessen müssen wir Einschränkungen berücksichtigen. Die größere Entfernung der Zentralabteilung von den Endkunden führt dazu, dass Informationen auf dem Weg der Kommunikation verloren gehen, die Kunden keinen kompetenten Ansprechpartner haben und das Kundenerleben insgesamt leidet. Diesen Effekt müssen wir auch bei Qualitätsüberlegungen auf dem Schirm haben.

Lokale Prozesse sind etwas anderes als dezentrale Prozesse

In der Diskussion um Prozesse zentralisieren oder dezentralisieren möchte ich aber noch ein wichtiges Missverständnis ausräumen: Wenn von dezentralen Prozessen die Rede ist, sind eigentlich lokale, und nicht dezentrale Prozesse gemeint. Was ist der Unterschied?

Es gibt vier Formen der Verankerung von Prozessen in der Aufbauorganisation:

  1. Lokale Prozesse: Alle Tätigkeiten eines Prozesses finden in einem lokalen Team statt, es gibt keine Abhängigkeiten mit anderen Organisationseinheiten
  2. Übergreifende Prozesse: Für jeden Durchlauf des Prozesses werden regelmäßig Tätigkeiten in verschiedenen Organisationseinheiten ausgeführt. Kommunikation im Prozess ist also der entscheidende Erfolgsfaktor.
  3. Zentrale Prozesse: Eine zentrale Organisationseinheit führt alle Vorgänge eines Prozesses für die anderen Einheiten des Unternehmens aus.
  4. Dezentrale Prozesse: Der gleiche Prozess wird in verschiedenen Organisationseinheiten mehr oder weniger unabhängig voneinander ausgeführt.

Wenn gemeinhin über Dezentralisierung gesprochen wird, meinen die Leute lokale Prozesse: Jede Einheit macht ihr Ding. Zentralabteilungen haben wenig Kontrolle über das, was in den lokalen Teams gemacht wird. Die Teams wissen untereinander nichts voneinander, es gibt keine Lerneffekte.

Dezentralisierung kombiniert zentrales Knowhow mit lokaler Verantwortung

Dezentrale Prozesse sind etwas anderes. In dezentral organisierten Prozessen sind sich alle bewusst, dass es sich um den gleichen Prozess handelt, der nur von verschiedenen Akteuren ausgeführt wird. Was in lokalen Prozessen unverbunden nebeneinander abläuft, ist in dezentralen Prozessen mehr oder weniger stark koordiniert. Darin liegt der Optimierungseffekt.

Dezentralisierung bedeutet also genau genommen nicht: überlasse alles den lokalen Teams und gib die Kontrolle aus der Hand. Vielmehr bedeutet eine richtig verstandene Dezentralisierung, dass wir uns zentral um den Prozess kümmern, auch wenn die Ausführungs- und die Ergebnisverantwortung lokal liegt.

So läuft Prozessoptimierung idealerweise

Um den Prozess kümmern bedeutet:

  1. Wir definieren einen gemeinsamen Ablauf, der für alle lokalen Einheiten gleichermaßen gilt.
  2. Wir wissen, wo einzelne Einheiten Abweichungen brauchen, um auf lokale Besonderheiten reagieren zu können.
  3. Wir legen die Medien und die Anwendungen fest, die für einen Prozess genutzt werden.
  4. Wir trainieren die lokalen Ausführungsverantwortlichen, sodass sie in der Lage sind, mit hoher Qualität zu arbeiten.
  5. Wir beobachten die Ausführungsqualität, damit wir intervenieren können, wenn der Prozess aus dem Ruder läuft.
  6. Schließlich legen wir noch fest, in welchen Fällen eine lokale Bearbeitung nicht mehr sinnvoll ist, weil das Volumen oder die Komplexität eines Falls zu groß sind und wir in diesen Fällen zur zentralen Bearbeitung wechseln.

Wichtig: Die lokalen Teams nicht aus der Verantwortung entlassen

Die zentralen Wissenszentren handeln hier nicht als Dienstleister, die den Teams jede Verantwortung abnehmen, sondern als Support, der sie darin unterstützt, ihrer Ausführungsverantwortung auf hohem Level gerecht zu werden.

Wenn die Verantwortung für Ausführung und Ergebnis lokal bleiben, kann das auch dazu beitragen, dass die einzelnen Teams sich nicht mehr so leicht aus der Verantwortung ziehen können. Es geht eben nicht mehr, nur auf „die in der Zentrale“ zu schimpfen, wenn man selbst am Steuer ist.

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Bildnachweis: Jason Goh auf Pixabay
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