Buchbesprechung: Systemisches Projektmanagement von Harald Heinrich
„Systemisches Projektmanagement“ – der Titel von Harald Heinrichs Buch verspricht, zwei Welten zusammenzubringen: die technische Disziplin Projektmanagement, wo Projekte gesteuert, kalkuliert und „gemacht“ werden, und die systemische Disziplin, wo soziale Systeme als prinzipiell nicht steuerbar gelten. Wird das Versprechen eingelöst? Die Frage werden verschiedene Leser unterschiedlich beantworten.
Drei Lesergruppen
Da sind zum einen die Leser, denen Projektmanagement ebenso neu ist wie das systemische Organisationsverständnis. Sie suchen eine Einführung in das Projektmanagement und erhoffen sich vom Zusatzattribut „systemisch“, dass die Einführung nicht allzu technisch wird und es „irgendwie ganzheitlich“ zugeht.
Eine zweite Lesergruppe kennt sich in den Methoden des Projektmanagement schon mehr oder weniger aus. Diese Leser wollen erfahren, was die systemische Brille ihnen Neues bietet.
Und es gibt Leser, die „aus der systemischen Ecke“ kommen und hier erfahren wollen, wie sie mit den systemischen Methoden im technokratischen Umfeld des Projektmanagement neue Impulse setzen können. Oder es sind die, für die „systemisches Projektmanagement“ bereits Alltag ist, den sie in einem Buch wiederfinden möchten.
Was ist für die drei Lesergruppen drin im Buch?
Die Neulinge
Für die Neulinge im Projektmanagement bietet das Buch von Harald Heinrich eine gut lesbare und verständliche Einführung in die systemischen Prinzipien und ihre Anwendung im Projektumfeld. Heinrich führt die zum Teil sperrige Begrifflichkeit der Systemtheorie anschaulich ein und greift auf viele Beispiele aus verschiedenen Lebensbereichen zurück. Wer aber hofft, hier Anleitungen für das Handwerkszeug des Projektmanagers zu finden (Wie erstellt man einen Projektstrukturplan, wie bringt man die Interessen von Stakeholdern zusammen? Wie kommt man zu einem sauberen Ablaufplan? Wie kann man die vielen Änderungswünsche im Projektablauf bewältigen? Wie balanciert man mit mehreren Projekten gleichzeitig?), der bleibt auch am Ende des Buchs mit offenen Fragen zurück. Für die Praxis der Projektmanagementmethoden muss der Leser anschließend noch auf eines der „klassischen“ PM Bücher zurückgreifen.
Die Lektüre von „systemisches Projektmanagement“ war dennoch nicht vergebens: Wer danach noch ein Projektmanagement-Buch in die Hand nimmt, wird ganz andere Fragen daran stellen. Dieses Buch kann angehende Projektmanager vor der Illusion der Machbarkeit bewahren. Statt ständig danach zu streben, Planungs- und Steuerungsmechanismen zu optimieren, um Planungsfehler zu vermeiden, wird er sich früh damit auseinandersetzen, wie in unsicheren Zusammenhängen zu entscheiden ist. Er wird sich an die systemischen Prinzipien erinnern, wenn die Zahlen, Daten, Fakten plötzlich nicht mehr so hart sind wie er sie erwartet.
Die Projekterfahrenen
Diese Erfahrung könnte der Grund für die zweite Lesergruppe sein, dieses Buch in den Warenkorb zu legen: Trotz noch so ausgefeilter Planungs- und Steuerungstechniken laufen Projekte aus dem Ruder und müssen selbst erfahrene Projektmanager zähneknirschend Überziehungen von Zeit und Budget verantworten, weil die Dinge einfach nicht so laufen, wie sie laufen sollten. Diese Leser werden es vielleicht als wohltuend empfinden, dass ihnen nicht zum x-ten Mal die Planungstechniken von Ende-Anfang und Anfang-Anfang-Beziehungen vorgezählt werden. Sie werden mit einer gewissen Erleichterung lesen, dass soziale Systeme per se nicht steuerbar sind und Projektmanager daher andere Instrumente brauchen als die bekannten Methoden.
Sie kennen aus der bewährten PM-Literatur den Kanon von sogenannten „soft skills“ des Projektmanagement, mit denen die methodische Leerstelle des Berufsstands allenthalben angefüllt wird: Bunt zusammengewürfelte Führungs- und Kreativitäts“techniken“ von Brainstorming bis Ishikawa-Analyse. Ein übergreifendes Konzept für den Umgang mit Menschen, Team, Kommunikation und Unerwartetem fehlt im klassischen Projektmanagement.
In diesem Buch werden sie fündig. Hier verstehen sie Projekte als temporäre soziale Systeme mit allem, was soziale Systeme von technischen Systemen unterscheidet. Sie erfahren, warum all ihre Planungstechniken aus systemischer Sicht gut und notwendig sind und betrachten ihr bisheriges Tun in einem neuen Licht. Und zusätzlich bekommen sie mit den systemischen Prinzipien praktische Orientierung für all die Fragen an die Hand, auf denen ihr „altes“ Projektmanagement keine Antwort lieferte.
Sie lernen, mit dem Prinzip der gleichberechtigten Zugehörigkeit und dem „Recht auf Nichtausschluss aus dem System“ Konflikte in Projekten zu verstehen, die für sie bisher einfach nur „irrationale“ Störungen des Projekts waren. Sie erfahren, wie aus der Reihenfolge der Zugehörigkeit zum System nicht ausgesprochene Ansprüche von Projektteilnehmern entstehen. Und sie verstehen, wie diese unterirdischen Störungen zu Ineffektivität und Pannen führen. Dieses Buch erklärt, wie Projektmanager mit Hilfe dieser Prinzipien die „Immunkraft“ Ihres Projektes stärken.
Die Systemiker
Wer als Anhänger der systemischen Schule dieses Buch in die Hand nimmt, wird sich darin bestätigt sehen, dass die Begriffe der Systemtheorie – Ganzheitlichkeit, Unterschiedsbildung, Kontextabhängigkeit und Wechselwirkung unter Systemelementen – auch für das Projektmanagement hilfreiche Instrumente sind. So eine Bestätigung tut gewiss gut. Neues findet er in dem Buch allerdings nicht wirklich. Er wird es als langatmig empfinden, dass jeder Begriff und jedes Prinzip immer wieder erst aus dem Anwendungsbereich „Nestfamilie“ abgeleitet, dann im Umfeld „Spiel“ verpobt und im Kontext „Unternehmen“ vorgestellt wird, bevor schließlich das spezielle Anwendungsfeld „Projekt“ in ein paar Sätzen behandelt wird.
Aus diesem Blickwinkel fällt auch die holzschnittartige Darstellung der systemischen Theorie auf. Die Mentoren des Autors – Sparrer, Varga von Kibed (der das Vorwort beigesteuert hat) und Hellinger sind auf jeder Seite präsent. Das Prinzip des Vorrangs eines früheren Systemmitglieds vor einem späteren wird ohne weitere Herleitung postuliert, archaische Vokabeln wie „Verbeugen vor den Früheren“ lassen die Mentoren dieser systemischen Schule durchscheinen. Luhmann hingegen ist dem Autor einen einzigen Satz wert: Auf ein Verständnis, wonach soziale Systemen aus Kommunikationen bestehen, „wird an dieser Stelle bewusst verzichtet.“ (S. 32). Den Abschluss des Buches bildet die kurze Schilderung einer systemischen Projektaufstellung.
Fazit
Das Buch befriedigt ein Bedürfnis nach Methoden, die „weichen“ Faktoren eines Projektes zu bearbeiten. Es stellt mit den systemischen Prinzipien von Sparrer und Varga von Kibed solche Methoden vor, die der Projektmanager in der angegebenen Reihenfolge anwenden möge, um die „Immunkraft“ seines Projektes zu steigern. Wer nach Rezepten sucht, findet sie hier. Ein theoretisch gut fundiertes Handwerksbuch für Projektleiter bleibt aber weiterhin zu wünschen.