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Da wird ein Berater engagiert, um Prozessmanagement und Veränderungsprozesse zu unterstützen. Und dann stellt man fest, dass „Prozesse“ nur ein hervorragendes Ablenkungsmanöver von den eigentlichen Problemen der Organisation sind. Ich vermute, dass dieses Phänomen häufiger zu beobachten ist.

In einem aktuellen Beratungsprojekt nehme ich wahr, wie die Beschäftigung mit Prozessmodellen alle Beteiligten davor bewahrt, sich den verdeckten Konflikten zu stellen. Wir erwarten, dass die Eindeutigkeit von Prozessmodellen und die konkrete Vereinbarung von Abläufen und Zuständigkeiten notwendige Klärungsprozesse im Unternehmen vorantreibt. Aber auch das Gegenteil ist möglich.

Prozesse und Grabenkämpfe

Die Prozesse sind eigentlich überschaubar komplex, die Übung könnte zügig erledigt sein. Aber dennoch kommt das Projekt nicht richtig voran. Entwürfe bleiben lange liegen, dann werden wieder Änderungen eingereicht, Schnittstellenprobleme werden immer wieder thematisiert, obgleich die Herausforderung schon bekannt und die Lösung schon auf dem Weg ist. Immer wieder Abgrenzungsprobleme, immer wieder „die“ und „wir“ – Diskussionen.

Ich versuche, die Prozessmodelle auf die wesentlichen Aussagen zu konzentrieren, aber immer wieder taucht die Diskussion in die Details ab. Aber auch noch so detaillierte Prozessmodelle, die wie Programm-Ablauf-Pläne um Wenns und Danns ranken, stellen die Leute nicht zufrieden. In dieser Situation ist es gut, die Szene aus einiger (gedachter) Entfernung zu betrachten. Dann erkennt man, wie sich ein großer Elefant mitten im Raum breit macht und fleißig mit Prozessmodellen kaschiert wird.

Unternehmenskultur „bewundern“

Ich erfahre, dass eine vorangegangene Reorganisation des Unternehmens Wunden hinterlassen hat. Das Führungsteam versteht sich eher als Sachwalter von Abteilungskompetenzen denn als Führung einer gemeinsamen Mannschaft. Prozesse sind nützlich, um Grenzen abzustecken und Fehler auf der anderen Seite zu lokalisieren. Vertrauen in die Qualität der Arbeit anderer ist wenig entwickelt, so bleibt auch das Selbstvertrauen auf der Strecke, dass man gemeinsam das große Projekt stemmt.

Ein Tipp von Christina Grubendorfer hilft mir in dieser Situation weiter: Der Satz „Das ist interessant“ wirkt Wunder. Die Kultur im Kunden-Unternehmen kann ich nicht verändern. (Der Berater schon gar nicht!) Aber wenn ich sie „bewundere“, dann mache ich sichtbar, was unausgesprochen im Raum steht. Und ist das unbewusste Muster erst einmal wahrgenommen, wird die Organisation darauf reagieren. So kann ich Grabenscharmützel und widersprüchliche Informationen zur Sprache bringen, ohne dass ich bewerte. „Das ist interessant:“ Der Abteilungsleiter bekommt von seinen Teamleitern grüne Ampeln gemeldet. Die Deadline macht ihm keine Sorgen. Der verantwortliche Projektmitarbeiter aber hört von den Kollegen aus den gleichen Teams von Überlastung, fehlerhafter Software, illusorischen Zielen und „das schaffen wir nie“-Verzweiflung. Ein interessantes Phänomen. Muss ich bewerten wer Recht hat? Rückmeldung ist die erste Beraterpflicht.

Hier der Buchtipp zur Unternehmenskultur: Christina Grubendorfer, Systemische Konzepte der Unternehmenskultur, Carl-Auer-Verlag 2016. 

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