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Die Qualitätskontrolle wird zum Flaschenhals für weiteres Wachstum bei mittelständischen Arzneimittelherstellern. Die Nachfrage ist da, Rohstoffe und Produktionskapazitäten sind zu beschaffen – aber die Chargenfreigabe gerät bei steigenden Produktionszahlen unter gefährlichen Druck. Warum ist das so?

 

Chargen müssen lückenlos nachvollziehbar sein

Pharmazeutische Produktion muss lückenlos nachvollziehbar sein: Jede Charge fertiger Arznei muss bis auf die Lieferung der verarbeiteten Pflanzen zurückzuverfolgen sein, was einen erheblichen Dokumentationsaufwand nach sich zieht. In einem Projekt bei einem Hersteller naturheilkundlicher Arzneien konnte ich das beobachten.

Bevor ein Los irgendeines Produktes das Haus verlässt, zeichnet der Qualitätsbeauftragte die Charge frei und bestätigt, dass der gesamte Produktionsprozess inklusive aller Vorstufen entsprechend den geltenden Regeln produziert und verpackt wurde. Dafür haftet er. Und zwar persönlich.

In der Realität hat er aber keine Chance, den ganzen Produktionsprozess persönlich zu beobachten – selbst in einem überschaubaren Unternehmen. Zwischen den angelieferten Rohwaren und der fertigen Tablettenpackung liegen viele Schritte, und zwischendurch ruhen die Präparate zum Teil für längere Zeit. Einen durchgängigen Produktionsprozess „von Anfang bis Ende“ gibt es gar nicht.

Endkontrolle vertraut auf Dokumente aus den Fertigungsschritten

Was kann also eine abschließende Kontrolle und Freigabe tatsächlich prüfen? Sie prüft, ob jede im Prozess verwendete Charge der verschiedenen Vorprodukte bei ihrer Produktion ihrerseits korrekt freigegeben wurde. Unter dem Strich kontrolliert also ein persönlich haftender Apotheker die Unterschrift von Kollegen im Fertigungsprozess und muss auf ihre Gewissenhaftigkeit vertrauen. Mehr als Plausibilität und Stichproben hat er nicht.

Keine Missverständnisse: Die einzelnen Präparate und Fertigungsstufen durchlaufen umfangreiche Untersuchungen und Prüfungen. Aber am letzten Quality-Gate sind nur noch die Dokumente vorhergehender Freigaben überprüfbar. Das bedeutet in der Praxis: Von allen Vorprodukten, Bestandteilen und sogar von der Verpackung sind die Papierdokumente für die Freigabe zusammenzusuchen, zu lesen, auf Plausibilität zu prüfen und schließlich endgültig freizugeben. Wer hier nicht oberflächlich arbeiten will, braucht viel Zeit und eine ruhige Hand.

Digitalisierung der Arzneimittelproduktion braucht Vertrauen

Der Markt bietet Wachstumschancen, und auch die Produktionsanlagen können mehr Output liefern, aber alles muss durch das Nadelöhr der Kontrolle. Und hier wird noch von Hand gearbeitet. Gerade bei homöopathischen Präparaten verkaufen die Hersteller in erster Linie das Vertrauen in die Einhaltung des überlieferten Produktionsprozesses. Kein Wunder, dass sie sich schwer tun mit der Digitalisierung  ihrer Freigabeprozesse.

Ein Dokumenten-Management könnte die Freigaben der einzelnen Schritte nachvollziehen und manipulationssicher zum endgültigen Freigabeschritt konsolidieren. Statt Papierakten zusammenzusuchen würden Dokumente am Bildschirm präsentiert. Doch damit legt der Qualitätssichererer einen weiteren Akt persönlicher Kontrolle aus der Hand und vertraut einem anonymen Prozess.

Die Digitalisierung der Freigabeprozesse wäre ein effektiver Hebel für Wachstum in mittelständischen Arzneimittelunternehmen. Sie funktioniert aber nur, wenn der Dokumentenfluss den Produktionsprozess zuverlässig abbildet. Damit die Verantwortlichen einem System dieses Vertrauen entgegenbringen, müssen sie sich mit ihrem Prozess voll verstanden fühlen.

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