Ein Workshop zur Auftragsklärung in einem Prozess-Management-Projekt fördert regelmäßig die gleichen Antworten zu Tage: Die Erwartungen „Klare Rollenklärung“, „Transparenz“, „Effizienz“, „Qualität“, „endlich belastbare Kennzahlen“ oder „Automatisierung“ werden in unterschiedlicher Kombination immer wieder genannt. Wer in die Runde der Führungskräfte nach den Erwartungen an das Projekt fragt, kann die genannten Antworten beinahe wie beim BINGO abhaken. Irgendwann sind alle Nutzenargumente genannt. Aber wozu ist das gut? Ein Projekt kann unmöglich alle Erwartungen erfüllen.
Ohne eine Klärung des Projektauftrags verliert sich ein BPM-Projekt im unverbindlichen Nirwana: Schon die Wahl der Methoden und Instrumente im Projekt hängt vom Auftrag ab: Wenn es um Dokumentation von Prozessen für ein QM-System geht, muss ich anders vorgehen als bei einer Prozess-Automatisierung.
Prozessoptimierung ist Organisationsentwicklung
Ein Projekt zum Prozessmanagement braucht ein klares Mandat zur Veränderung. Selbst wenn es „nur“ um die „Aufnahme der Ist-Prozesse“ geht, steht ein Veränderungsauftrag im Raum: Wo bisher jeder seine Arbeit nach bestem Wissen erledigt hat, soll man sich nun auf einen gemeinsamen „Ist-Prozess“ verständigen. Wer hat dann das Mandat, den „richtigen“ Ist-Prozess festzulegen? Und was passiert, wenn Teams einfach weiter arbeiten wie immer?
Schon die Definition von einheitlichen Entscheidungsregeln, Rollen und Verantwortlichkeiten ist ein Eingriff in die gewachsene Struktur und in die Autonomie von Mitarbeitern, Teams oder Führungskräften.
Prozessaufnahme ohne Veränderung geht nicht
Der Auftrag für diesen Eingriff sollte schon vorher allen Beteiligten klar sein. Dieser Auftrag stellt auch klar, wen ein Projektteam in die Bearbeitung der Prozesse einbinden muss. Was für solche subtile Veränderungen gilt, muss umso mehr gelten, wenn sichtbare Strukturen wie Abteilungszuschnitte oder IT-Systeme verändert werden sollen. Jeder sollte wissen, dass eine „Prozessaufnahme“ keine akademische Fingerübung sondern ein wichtiger Schritt in einem Veränderungsprozess ist. Der größte Fehler in einem BPM-Projekt ist die Ankündigung, das Projektteam würde „nur die Ist-Prozesse aufnehmen“.
Kneifen wir vor der Auftragsklärung?
Bei den meisten BPM-Projekten gibt es darum einen Workshop zurAuftragsklärung, wo die Auftraggeber und Stakeholder ihre Erwartungen an das Projekt formulieren sollen. Aber allzu oft kommt dabei diese Sammlung von Lehrbuchargumenten heraus, die dem Projekt nicht weiterhelfen. Wie kommt es dazu?
Ich vermute, dass in den meisten Projekte zum Prozessmanagement zwei wichtige Schritte übersprungen werden: das Wahrnehmen von Anpassungsbedarf und die bewusste Entscheidung zur Veränderung. Häufig springen Projekte gleich in den dritten Schritt und entscheiden für die Methode: Prozessmanagement. Dahinter steckt die Erwartung, dass wenn ich mich nur an anerkannte „wissenschaftliche“ Methoden des Management halte, ich auch zu den „richtigen“ Ergebnissen komme. Wer eine Methode einführt, weil sie im Lehrbuch steht, der antwortet auf die Frage nach dem „Warum“ auch mit den Nutzenargumenten aus dem Lehrbuch.
Erwartungen konkret formulieren
Es geht also in einer Auftragsklärung für ein Projekt nicht darum, was man mit Prozessmanagement erreichen kann sondern was wir mit einem Veränderungsprojekt in unserem Unternehmen erreichen wollen. Statt allgemeiner Begriffe wie „Transparenz“ wollen wir klare Unterscheidungen herausarbeiten. Zum Beispiel: „Heute erfährt die Fertigung über die einzelnen Fertigungsaufträge, wie viel Kapazität erforderlich ist. Zukünftig sieht der Fertigungsleiter jederzeit, wie viele Aufträge wo in der Pipeline stehen, und stellt die Kapazitäten vorausschauend bereit.“
Eine Information ist ein Unterschied, der einen Unterschied macht. (G.Bateson) Das Arbeiten mit Unterscheidungen hilft uns, Erwartungen an Veränderungsprozesse klarer zu formulieren. Wir fragen danach, was nach dem Projekt beobachtbar anders ist als vor dem Projekt. „Beobachtbar“ heißt dabei, dass eine konkrete Person an konkreten Beobachtungen im Unternehmen darstellt, was anders ist.
Konflikte werden sichtbar
Diese Unterscheidung kostet vielen Menschen Überwindung. Denn es ist einfacher nur „Effizienz“ zu fordern als an klaren Beobachtungen festzumachen, was man selbst heute als ineffizient wahrnimmt. Eine Unterscheidung in „vorher“ und „nachher“ kann leicht als Vorwurf aufgefasst werden. Und wer will schon mit dem Finger auf andere zeigen? Da sind Business-Buzzwords viel bequemer.
Wenn tatsächlich vorhandene Wahrnehmungen über Anpassungsbedarfe nicht zur Sprache kommen, weil Menschen den Konflikt scheuen, dann verlagern sie die Konflikte nur auf das Projektteam. Später laufen die definierten Prozesse nicht wie erwartet und alle schimpfen auf die Prozess-Theoretiker „vom grünen Tisch.“ Solange schwelende Konflikte sich durch die täglichen Routinen verdecken lassen, tun sie den Beteiligten nicht weh. Wer sie ans Tageslicht bringt, macht sich zum Sündenbock. Prozessmanagement-Teams sind auf diese Rolle abonniert.
Vorgehensmodell zur Auftragsklärung
Wer als Prozessmanager nicht diese Rolle schlittern will, achtet besonders auf die Auftragsklärung im Projekt. Wenn Organisationen wenig Erfahrung haben, Erwartungen in offener Runde zu formulieren, empfehle ich zunächst eine sternförmige Kommunikation des Projektteams: Gehen Sie zu den einzelnen Stakeholdern und erarbeiten sie die Erwartungen in Form von Unterscheidungen zwischen jetzt und nach dem Projekt. Achten Sie bei den Antworten darauf, dass Sie konkrete Beobachtungen aufnehmen. Haken Sie im Gespräch nach, wenn allgemeine Begriffe gebracht werden oder Gesprächspartner mit „man“ formulieren.
Es kann dabei helfen, Ihren Gesprächspartner danach zu fragen, wie andere eine Situation wahrnehmen würden. Fragen Sie, was zum Beispiel Kunden, die Controller, die Geschäftsführung, der Eigentümer (Aktionär, Analyst etc.) sehen würden. Woran würden diese die Unterschiede zwischen vorher und nachher erkennen? Warum wäre dieser Unterschied für sie relevant?
Zustimmung zu Statements sammeln
Nachdem Sie die Unterscheidungen einzeln gesammelt haben, fassen Sie sie zusammen und bringen die Beschreibungen von „heute“ und „nach dem Projekt“ auf Pinnwände oder Flipcharts. Halten Sie sich dabei möglichst authentisch an die Wortwahl Ihrer Gesprächspartner, aber lassen Sie die Statements anonym. Zu jedem Statement bringen Sie eine Skala der Zustimmung an und lassen alle Stakeholder mit Klebepunkten ihre Zustimmung von „stimmt überhaupt nicht“ bis „stimmt ganz genau“ auftragen.
Veränderungsauftrag formulieren
Jetzt erst macht eine Diskussion aller Stakeholder über die geäußerten Erwartungen Sinn. Versuchen Sie im Plenum eine Gruppierung der Erwartungen und eine Gewichtung zu erreichen. Arbeiten Sie dann in der Gruppe heraus, welche Veränderungen erforderlich sind, um diese Erwartungen zu erfüllen. Bitten Sie schließlich Ihre Geschäftsführung, diese angestrebten Veränderungen als Auftrag an das Projekt zu formulieren und allen Führungskräften mitzuteilen.