Change Management. Allein der Begriff kommt mit einem enormen Anspruch daher: „Be the True Leader.“ Die wahre Führungsperson kann Veränderung. Das Ruder herumreißen. Den Kurs vorgeben. Kein Wunder, dass Ratgeber, Seminare und Konferenzen zum Thema hoch im Kurs stehen. Aber was steckt bei Licht betrachtet dahinter?
Der Erwartungsdruck auf Führungspersonen
Die Management-Disziplin bekommt Bedeutung, weil es so schwierig ist, die Arbeitsweise in Organisationen nachhaltig zu verändern. Da werden Organisationseinheiten neu zugeschnitten, Zuständigkeiten neu geregelt, Teams neu zusammengesetzt – aber im Hintergrund funktionieren die alten Entscheidungswege unbeeindruckt weiter. Oder die Umstrukturierung greift tatsächlich – aber es tauchen danach völlig unerwartete Konflikte auf und blockieren das Geschäft. Da kann man sich fragen, welcher Misserfolg einem lieber ist.
Wenn Veränderung so schwierig ist, müssen die richtigen Management-Methoden her. Lerne „Change Management“ und werde eine „echte Führungsperson“!
Als systemischer Organisationsberater kenne ich diese Erwartungen an Führungspersonen. Und ich weiß, welcher Erwartungsdruck damit auf ihnen lastet: Gelingt die Veränderung nicht, liegt es an ihrem „schlechten“ Change Management. Aber wer will schon vor der Herausforderung kneifen und die eigene Unsicherheit preisgeben? Also doch lieber ein Seminar gebucht. Dann wird’s schon werden.
„Du kannst den Fluss nicht anschieben.“
Ich bin eher dafür, Ihnen die schlichte Wahrheit zu sagen: Organisationen entwickeln sich in ihrem eigenen Tempo. Wenn das Veränderungstempo Ihres Unternehmens nicht zu den Erwartungen Ihrer Auftraggeber passt, ist das nicht Ihr Fehler. „Du kannst den Fluss nicht anschieben,“ lautet der für mich wichtigste Satz meiner Beraterausbildung.
Und wenn man sich über die Starrheit (Sturheit?) der Organisation ärgert, dann hilft durchaus die Erkenntnis, dass diese Stabilität gerade die Stärke aller Organisationen ist. Sie haben sich entwickelt, um soziale Beziehungen und Zusammenarbeit zu stabilisieren. Stellen Sie sich vor, Sie könnten sich nicht darauf verlassen, dass die Kolleginnen in den anderen Abteilungen ihren Job richtig machen. Moderne Organisationsformen haben sich über Jahrzehnte (Jahrhunderte?) entwickelt, um Stabilität zu gewähren – für Veränderung sind sie nicht gemacht – das würde ihrem Zweck widersprechen.
Und sie verändern sich doch.
Und dennoch verändern sie sich ständig. Täglich lernen Teams neu, ändern einen Ablauf, passen die Kommunikation an. Wir merken es nur nicht, weil es kein Projekt, kein „Kick-Off“ und keine Power-Point-Präsentation dazu gab. Immer dann, wenn Organisationen einen unvermeidbaren Bedarf zur Anpassung wahrnehmen, passen sie sich an. Sonst gehen sie ein. Es gibt eine ständige, auf den ersten Blick kaum wahrnehmbare Lernbewegung in allen Organisationen. Dafür sollten wir unser Auge schärfen.
Das Tempo dieser Lernbewegung ist tief verwurzelt in der jeweiligen Unternehmenskultur. Es kann sich ändern, aber das ist eine sehr langsame Bewegung. Fürs Erste wäre schon geholfen, wenn wir die Lernentwicklung der Organisation nicht zusätzlich bremsen. Bevor man sich also anschickt, die ganze Organisation auf links zu krempeln, um die Lerngeschwindigkeit zu erhöhen, hilft es eher, die Lern-Hindernisse wahrzunehmen und zu minimieren. Sie werden sehen – das wirkt schon fast Wunder.
Verbrennen Sie Ihre Power-Point-Präsentation!
Was bedeutet das für die praktische Arbeit? Führungspersonen in Tams sollten im Team Raum schaffen, Wahrnehmungen über Veränderungen in der Umwelt auszutauschen. Wer beobachtet welche Kundenerwartungen, wer hat welche Funktionen der Software neu kennengelernt, wer nimmt Änderungen von Rahmenbedingungen wahr? Beobachtung der Umwelt ist nicht der exklusive Job der Führungspersonen – je mehr das Team hier eingebunden ist, desto stärker wird die Lernfähigkeit des Teams.
Ich habe eben aufgezeigt, dass Organisationen sich anpassen, wenn sie einen unabwendbaren Bedarf dazu wahrnehmen. Jetzt müssen wir noch dieses „wahrnehmen“ verstehen: Organisationen haben ja weder Augen noch Ohren – sie müssen die Wahrnehmung also von Individuen borgen. Ein System nimmt wahr, was im System kommuniziert wird. „Im System kommuniziert“ heißt nicht „von außen mitgeteilt“.
Darum ist es so wichtig, dass die Teammitglieder in diese Wahrnehmung von Veränderungsbedarf eingebunden sind. Das kostet Zeit, wenn Sie bisher gewohnt sind, als Führungsperson in einem Teammeeting mitzuteilen, worauf es in nächster Zeit ankommen wird. Aber genau diese Übung schafft die Lernvoraussetzung. Sie dürfen das auch gerne „Daily Standup“ nennen, wenn Agilsprech in Ihrer Organisation gut ankommt.
Wenn Sie beauftragt sind, ein Projekt mit Veränderung umzusetzen, dann lautet der Tipp: Verbrennen Sie Ihre Power-Point Folien! Erzählen Sie den Teams nicht, was sich mit Ihrem tollen Projekt alles zum Besseren wenden wird. Hören Sie vielmehr zu. Fragen Sie das Team oder sprechen Sie mit den dienstältesten Kolleginnen im Team (die haben schon manches Projekt kommen und wieder gehen sehen).
Den Alten zuhören
Sie sollten wissen, worauf die Teams stolz sind, was ihnen richtig gut gelingt, ihnen wichtig ist. Fragen Sie dann, welche notwendigen Veränderungen die Leute für die Zukunft ihrer Arbeit sehen. Wenn Sie feststellen, dass nur wenig Bewusstsein für relevante Veränderungen der Umwelt da ist, dann widerstehen Sie der Versuchung, den Leuten jetzt Ihre Wahrheit zu verkünden. Beachten Sie vielmehr: Sie stehen jetzt vor der Herausforderung, dass „im System“ noch nicht über unabwendbaren Anpassungsbedarf kommuniziert wird. Das heißt: Das System wird Veränderung nicht umsetzen. Punkt.
Workshop zur Mobilisierung
Teams, die noch nicht darin geübt sind, Veränderungsbedarfe selbst zu formulieren, brauchen genau an dieser Stelle im Prozess mehr Zeit. Wenn Sie diese Hürde verstolpern, fällt Ihnen das später im Projekt auf die Füße. In meinem Buch „Systemisches Prozessmanagement“ habe ich dazu den Workshop zur Mobilisierung genau beschrieben.
Wenn Ihnen diese Gedanken zur Veränderung hilfreich erscheinen, dann lade ich Sie ein, mein Buch zu bestellen. Oder Sie kontaktieren mich direkt – und wir sprechen darüber, wie ich Sie in Ihrer Aufgabe unterstützte.