„Wir stellen uns jetzt nach ITIL auf“. Diesen Satz höre ich bei Projekten im IT Umfeld immer häufiger. Das Referenzwerk für die Organisation von IT-Service-Prozessen (das Kürzel steht für „IT Infrastructure Library“) bildet einen Rahmen für die Definition eigener Prozesse. Die Sammlung genießt in der Branche einen Ruf als „Best Practice“ und deckt alle Bereiche der IT-Organisation ab. Best Practice kann aber nur einen Maßstab bieten. Als feste Vorgabe, wie man die eigene IT-Abteilung organisieren soll, ist das Referenzwerk ungeeignet.
Gibt es Best Practice für IT-Services?
IT-Manager fühlen sich bedroht von unkoordinierten und sprunghaften Anforderungen aus dem Rest des Hauses, dem „Business“. Wenn sie für Änderungswünsche, Störungen und Anforderungen feste Prozesse definieren, so hoffen sie, können ihre Leute „in Ruhe“ arbeiten und der Laden läuft wieder rund: Prozesse bringen Stabilität, Stabilität bringt Qualität – wo nichts mehr anbrennt, muss auch keiner mit dem Feuerlöscher durchs Haus laufen.
Wer wird in der IT zuerst bedient? Häufig der, der am lautesten schreit (oder den besten Draht nach „ganz oben“ hat). Die Folge? Alle brüllen lauter und alle pochen darauf, dass gerade ihr Job für die Geschäftsführung enorm wichtig ist. Als Entscheidungsprämisse für Prioritäten im Service ist dieses Prinzip dysfunktional. Aber die Alternative wären reglementierte Eingangskanäle und Entscheidungsprämissen – also „Bürokratie“.
Eine IT-Strategie kann bei Entscheidungen über Anforderungen helfen (wenn zum Beispiel LINUX-Server als strategische Entscheidung gesetzt sind, werden keine Windows-Server aufgebaut). Bei den Führungskräften „im Business“ werden solche Vorgaben als Inflexibilität wahrgenommen – immer wieder gelingt es, solche Festlegungen „durch die Hintertür“ zu umgehen. Die IT-Verantwortlichen fühlen sich übergangen – und irgendwann zahlen sie zurück.
Büroflure und Schützengräben
So wird die Kommunikation zwischen IT und Business immer mehr von „die“ und „wir“ geprägt. Am Ende werden Büroflure zu Schützengräben. Viele IT-Manager suchen in dieser Spannung ihr Heil in der ITIL-Bibliothek. Ihre Hoffnung: „Wenn wir uns sauber aufstellen, dann klappt‘s auch mit den Usern.“ Die allfälligen ITIL-Handbücher sagen, wie’s geht.
Ergebnis: Einige Projektmonate später ist wieder alles beim alten, nur mit mehr Formularen.
Meine Erfahrung: IT-Abteilungen sollten nicht versuchen, sich selbst nach irgendwelchen „Best Pracitces“ zu organisieren. Die Kommunikation zwischen IT und Business (und um diese Schnittstelle geht es in fast allen problematischen Prozessen) ist ein zentraler Teil des gesamten Kommunikationssystems im Unternehmen. Es kann nur aus der Gesamtperspektive bearbeitet werden. Das ITIL-Referenzwerk ist aber viel zu stark aus der IT-Perspektive erstellt, als dass es einen Impuls für das Gesamtsystem liefern kann. ITIL bleibt eine Nabelschau der IT-Abteilung.
Kommunikationsstrukturen gemeinsam entwickeln
IT-Mitarbeiter auf allen Führungsebenen müssen die Kernprozesse des Unternehmens verstehen und nachvollziehen, damit sie wirksame Unterstützung dafür bieten können. Andernfalls sehen sie im Anwender immer die eigentliche Fehlerquelle.
Führungskräfte im Business brauchen umgekehrt ein Verständnis ihrer Arbeit als Geschäftsprozess aus der Sicht von IT-Anwendungen. Nur so sind sie in der Lage, umsetzbare Anforderungen zu formulieren. Die Haltung „Wir verdienen das Geld und die IT ist unser Dienstleister“ ist im digitalen Zeitalter nicht mehr tragbar.
Prozessmanagement als gemeinsame Sprache
Prozessmanagement-Methoden und –Begriffe helfen, auf beiden Seiten ein gemeinsames Verständnis aufzubauen. Ein wichtiger Schritt in Richtung effektiver Kommunikation ist also, für IT- und Business-Verantwortliche gemeinsam Prozessmanagement-Wissen aufzubauen.
Auf dieser Basis kann man daran gehen, gemeinsam die Kommunikations- und Eskalationsregeln für Anforderungen, Änderungen und Probleme zu etablieren. Dabei kann der Prozessrahmen der ITIL-Bibliothek hilfreich sein. Aber eben nur als Orientierung, welche Prozesse wichtig sind.