Projektmanagement und Prozessmanagement werden häufig verwechselt. Das liegt nicht nur an der Ähnlichkeit der Bezeichnungen. In diesem Beitrag erläutere ich, wie sich die Disziplinen unterscheiden und wie sie zusammenhängen. Tatsächlich können wir kein Veränderungsprojekt ohne Prozessmanagement erfolgreich beenden und keine Prozessverbesserung ohne Projektmanagement umsetzen.
Gemeinsamkeiten
Die wichtigste Gemeinsamkeit von Prozess- und Projektmanagement ist der interdisziplinäre Blick. Beide Management-Konzepte betonen Arbeitszusammenhänge, die über den Einflussbereich einer „Abteilung“ hinausgehen. Wir schauen auf Abläufe, Objekte und Entscheidungen, die die Kompetenz einer Führungskraft in einer funktionalen Gliederung übersteigen. Es werden Zuarbeiten von Mitgliedern unterschiedlicher Teams benötigt, obwohl ein Prozess- oder Projektmanager keinen formalen Zugriff auf diese Ressourcen hat. Es gibt in der funktionalen Organisation keine Weisungsbefugnis und keine Budgetkompetenz in anderen Abteilungen. Im Projekt- und Prozessmanagement sind Entscheidungen zu treffen, Arbeiten zu koordinieren und Ergebnisse zu erreichen, die quer zur funktionalen Organisation liegen.
Beide Disziplinen widmen sich also der Vernetzung über die organisatorischen Grenzen hinweg. Beide verwenden daher Instrumente der Netzplantechnik, um diese Zusammenhänge verstehen und steuern zu können. Prozessmodellierung und Projekt-Netzplantechnik gehen auf gemeinsame Ursprünge zurück, haben sich aber unterschiedlich entwickelt. Das Beherrschen der einen Technik unterstützt aber das Verständnis der jeweils anderen.
Eine weitere Gemeinsamkeit ist die Integration von verschiedenen Moderations- und Entscheidungstechniken. Die Methodensammlungen für beide Disziplinen sieht eine Fülle von Führungstechniken vor, die diese beschriebene übergreifende Führungsaufgabe unterstützen. Tatsächlich sind die meisten dieser Methoden aber nicht spezifisch für Projekt- oder Prozessmanagement, sondern mittlerweile Standardrepertoire aller Führungstrainings.
Unterschied
Der wichtigste Unterschied ist der zwischen Einmaligkeit und Regelmäßigkeit. Ein Projekt ist definiert als ein einmaliges außerordentliches Vorhaben, der Prozess als ein regelmäßig wiederkehrender beobachteter und vorhersehbarer Ablauf.
Die beiden Management-Perspektiven stehen in einem Zusammenhang, den wir in drei Aspekten verstehen können:
Projekte verändern Prozesse
Jedes Projekt zielt darauf ab, die Organisation zu verändern. Wenn wir ein neues Firmengebäude errichten, ist das Ziel nicht das neue Gebäude sondern die funktionierende Arbeit im neuen Gebäude. Die Prozesse sollen also an neuem Ort effektiv und effizient laufen. Wir erwarten in der Regel, dass Engpässe und Begrenzungen, mit denen wir an alter Stelle zu kämpfen haben, im neuen Gebäude beseitigt sind. Wir erwarten also eine Verbesserung des Prozesses.
Wenn wir eine IT-Lösung einführen, dann ist nicht das Ziel, dass eine neue Software auf allen Rechnern verfügbar ist und die Personen eine Schulung bekommen haben. Das Ziel ist, dass die Arbeit mit der neuen Software besser läuft als ohne sie. Sonst würde sich die hohe Investition in ein Projekt nicht lohnen.
Wenn wir also die Wirtschaftlichkeit eines Projekts betrachten, dann stellen wir fest: Ein Projekt hat nie einen Return on Invest (ROI). Das Projekt ermöglicht lediglich eine Veränderung von Prozessen, die einen betrieblichen Nutzen erbringt. Der ROI ermittelt sich aus der Verbesserung von Prozessen.
Dieser Zusammenhang wird gerade bei IT-Projekten sehr häufig übersehen: Das Projekt heißt „Einführung der Software xy“, das Ziel wird beschrieben als „Rollout“ einer Applikation, eine Abteilung wird häufig als „Pilot“ für das Projekt ausgesucht. Nicht selten sehen sich die Abteilungen als Versuchskaninchen für das Projekt. Tatsächlich müsst das Ziel heißen: „Verbesserung des Prozesses A in Abteilung X mit der Software xy“. Dass die Auswahl der Software dabei bereits gesetzt ist und diese nach dem Piloten auch in anderen Abteilungen zum Einsatz kommen soll, tut dabei nichts zur Sache.
Der veränderte Blickwinkel hat erhebliche Auswirkungen auf das Projekt: Es kann nicht mehr als „fertig“ gelten, wenn eine Software „ausgerollt“ ist oder ein Gebäude steht – es ist erst gut und fertig, wenn die unterstützten Prozesse dank dieser Einführung funktionieren. Das bedeutet, dass ein Projekt die Anforderungen der betroffenen Organisationseinheiten in den Mittelpunkt seines Interesses stellen muss. Leider beobachte ich viel zu häufig, dass sich die Projektleiter für die Prozesse wenig interessieren und die Verantwortlichen der Prozesse das Projekt nicht als ihres betrachten.
Prozesse beschreiben Anforderungen
Das Anforderungsmanagement ist die Achilles-Ferse aller Projekte. Sind die Anforderungen am Start nicht vollständig verstanden, kommt das Projekt vom Start weg auf die schiefe Bahn. Entweder arbeitet es an den Bedürfnissen seiner Kunden vorbei oder es wird unterwegs mit so vielen Änderungen torpediert, dass alle Planungen über den Haufen geworfen werden. Darum müssen Projektmanager sich intensiv um das Verständnis und die Dokumentation der Anforderungen bemühen.
Die Modellierung des gegenwärtigen und des zukünftigen Prozesses für ein (IT-) Projekt unterstützt die präzise und komprimierte Dokumentation der Anforderungen an eine Lösung. Das Modell kann als freigegebenes Dokument über alle funktionalen Anforderungen zwischen Projektkunden, Projektmanagement und Projektlieferanten stehen. Alle Änderungen von Anforderungen oder Lieferungen müssen gegen dieses Dokument geprüft werden. Ändert sich eine Anforderung, spiegelt sich dies in einer neuen Version des Prozessmodells wider, die zwischen allen Beteiligten freigegeben wird.
(Die nicht-funktionalen Anforderungen wie Useability, Betriebskonzept, Sicherheitskonzept etc. sind neben dem Prozessmodell als eigene Sammlung zu führen).
Projekte sind auch Prozesse
Jedes Projekt ist einmalig. Das ist so definiert. Aber ein Unternehmen, das häufiger Projekte realisiert, wird einen regelmäßigen Ablauf für alle Projekte festlegen. So ist es zum Beispiel üblich, dass Projekte zunächst in einem Projektantrag beschrieben werden und Ressourcen nur freigegeben werden, wenn ein Projektantrag genehmigt ist. Ebenso sind häufig Projektphasen definiert, die mit vorgesehenen Abnahmeroutinen beendet werden. Meistens gibt es ein Aufsichtsgremium für ein Projekt, welches nach einem festgelegten Muster Entscheidungen über das Vorgehen des Projekts beschließt. Dieser hinter allen Projekten erkennbare regelmäßige Ablauf ist für sich genommen ein Prozess. Innerhalb dieses Prozesses werden wiederum regelmäßig festgelegte Routinen durchlaufen, die im Projektmanagement-Konzept einer Organisation vorgesehen sind. Die führenden Projektmanagement-Konzepte wie PRINCE oder PMI sehen eine Sammlung von Projektmanagement-Prozessen vor, mit denen das Projekt zu steuern ist.
Zusammenfassung
Projekt- und Prozessmanagement sind betriebswirtschaftliche Disziplinen, die Arbeitszusammenhänge über die Grenzen von Abteilungen hinweg steuern. Projekte sind per Definition einmalige Vorhaben, Prozesse stellen regelmäßig beobachtbare Abläufe im Unternehmen dar. Projekte sind allerdings nur dann sinnvoll zu verstehen, wenn ihr Ziel die Veränderung von Prozessen im Unternehmen ist. Die Anforderungen an ein Projekt sind in den erwarteten Prozessen zu beschreiben. Auch wenn Projekte einmalige Vorhaben sind, folgen sie dennoch regelmäßig zu beobachtenden Prozessen innerhalb des Projektmanagement.