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Prozessverantwortung ist Führung. In meinen Trainings zum Prozessmanagement bemerke ich immer wieder, dass Unternehmen Prozessverantwortung nicht als Führungsaufgabe verstehen. „Führung“ ist offenbar noch eng mit einem hierarchischen Rollenverständnis verbunden. Wenn wir auf unsere Zusammenarbeit als Prozesse schauen, dann rückt damit aber auch eine zweite Dimension von Führung ins Blickfeld.

In diesem Artikel stelle ich die Dimensionen von Prozessverantwortung und Führung kompakt zusammen. Dieser Überblick soll Unternehmen helfen, die Aufgaben und Kompetenzen für Prozessverantwortliche besser zu bestimmen.

Prozesse, Instanzen und Aktivitäten

Ein Prozess ist eine regelmäßig wiederkehrende Abfolge von Aufgaben und die damit verbundene Zusammenarbeit in der Organisation. Jeder Prozess ist durch einen vereinbarten Auslöser und ein erwartbares Ergebnis für einen (internen oder externen) Kunden bestimmt. Die Zusammenarbeit in einem Prozess ist bewusst beobachtet – im Gegensatz zu unbewusst gewachsenen Mustern der Zusammenarbeit.

Jeden einzelne Durchlauf eines Prozesses bezeichnen wir als Prozessinstanz. Meistens sind die Instanzen eines Prozesses über eine Auftrags- oder Ticketnummer identifiziert. Häufig werden bestimmte Instanzen zu Gruppen zusammengefasst. In einer Versicherung bilden zum Beispiel die Schadenprozesse der verschiedenen Versicherungsprodukte je eine Instanzengruppe, die von je einem Team bearbeitet werden. Ist ein Unternehmen in Niederlassungen gegliedert, können wir die Instanzen in den jeweiligen Niederlassungen zusammenfassen.

Die Aktivitäten in einem Prozess sind Aufgabenpakete, die immer wieder an der gleichen Stelle in der Abfolge des Prozesses auftreten und von einer Rolle an einem Stück ausgeführt werden können. Zu einer Aktivität können mehrere Tätigkeiten gehören – ob die ausführende Person diese Tätigkeiten mit oder ohne Unterbrechung ausführt, ist unterschiedlich – aber für die Gestaltung des Prozesses unerheblich.

Prozesse in der Aufbauorganisation

Verantwortung ist im Unternehmen sehr häufig an die Hierarchie in der Aufbauorganisation gekoppelt. Prozesse decken aber einen Arbeitszusammenhang ab, der sich nicht immer mit den Abgrenzungen der Aufbauorganisation deckt. Ich sehe vier Formen, wie Prozesse und Aufbauorganisation zueinander stehen können:

  • Übergreifende Prozesse

Wir benötigen für die Bearbeitung eines Prozessdurchlaufs (z.B. ein Auftrag, eine Reklamation, ein Einkaufsvorgang) die Mitarbeit von Personen aus verschiedenen Abteilungen des Unternehmens. Keine Abteilung kann die Zusammenarbeit im Prozess vollständig in ihrem Zuständigkeitsbereich steuern. Diese Einordnung des Prozesses in der Aufbauorganisation wird häufig als die „klassische“ Form eines Prozesses angesehen.

  • Lokale Prozesse

Im Gegensatz dazu kontrolliert in einem lokalen Prozess eine Organisationseinheit die Zusammenarbeit in einem Prozess vollständig. Alle Aufgaben zur Befriedigung eines Kunden werden von Personen aus derselben Abteilung erledigt. Diese Prozesse werden oft gar nicht als solche angesehen, weil das Element der Zusammenarbeit über die Abteilungsgrenzen fehlt.

  • Zentrale Prozesse

Die zentralen Prozesse sind häufig Unterstützungsprozesse im Unternehmen. Eine Abteilung führt den gesamten Prozess durch (wie in einem lokalen Prozess), aber alle anderen Abteilungen sind die Kunden. Meistens ist der Weg zur Inanspruchnahme dieser zentralen Prozesse der kritische Engpass des Prozesses.

  • Dezentrale Prozesse

Auch hier wirken an der Bearbeitung eines Prozessfalles nur Personen aus einer Organisationseinheit mit. Die Kontrolle des Prozesses liegt in dieser Abteilung. Anders als die lokalen Prozessen stehen die dezentralen Prozesse aber nicht für sich. Wir sehen vielmehr mehrfach den gleichen Prozess, der in unterschiedlichen Abteilungen oder Niederlassungen gleich oder abgewandelt bearbeitet wird. Wie deutlich die Unterschiede bei dezentralen Prozessen zu Tage treten, ist immer wieder Gegenstand der Prozessdiskussion. Ob ein Prozess eher ein lokaler oder ein dezentraler Prozess ist, hängt von der Rahmensetzung ab.

Ebenen der Verantwortung

  • Ausführungsverantwortung

Eine Person, die eine Aktivität ausführt, hat die Verantwortung dafür, dass sie diese Arbeit gewissenhaft erledigt. Dazu sollte sie wissen, welche Aufgaben zu einer Aktivität gehören und welche Ergebnisse in welcher Qualität vorliegen sollen. Wenn sie eine Aktivität als „fertig“ bezeichnet, übernimmt sie damit die Verantwortung für die richtige und vollständige Ausführung. Wenn alle Aktivitäten eines Prozesses richtig ausgeführt sind, müsste der Prozess ein gutes Ergebnis liefern.

  • Ergebnisverantwortung

Aber häufig erleben wir, dass es für ein gutes Ergebnis nicht genügt, wenn „ein jeder vor seiner Türe kehrt“. Das Team aller Beteiligten an einem Prozess übernimmt die Verantwortung dafür, dass am Ende ein gutes Ergebnis herauskommt. Diese Ergebnisverantwortung ist eine Teamaufgabe – keiner kann sie allein wahrnehmen.

Häufig wird aber eine Führungsperson stellvertretend für das Team benannt. Diese Person hat idealerweise auch Zugriff auf die Planung der benötigten Ressourcen. Bei übergreifenden Prozessen ist diese Ergebnisverantwortung häufig schwierig zu bestimmen.

Bei dezentralen Prozessen ist die Ergebnisverantwortung sinnvollerweise an die Instanzen gebunden. Zum Beispiel wird das Team in der Niederlassung Süd die Instanzen verantworten, die in dieser Niederlassung bearbeitet wurden. Eine Niederlassungsleitung wird stellvertretend dafür stehen.

Die Ergebnisverantwortung lässt sich gut mit Kennzahlen fassen. So kann eine Ergebnisqualität gemessen werden, eine Durchlaufzeit oder der Kostenverbrauch für die Instanzen eines Prozesses. Solche Kennzahlen zur Rückmeldung der Prozessqualität sind sehr verbreitet.

Ergebnisverantwortung entspricht weitgehend dem Verständnis von Verantwortung in hierarchisch gegliederten Unternehmen.

  • Prozessverantwortung

Die Prozessverantwortung ist für die Beobachtung des Prozesses gedacht. Wir können unsere Zusammenarbeit nur verbessern oder das Leistungsniveau halten, wenn wir uns in unserem Tun ständig selbst beobachten. Beobachten ist der Kern von Führung.

Zur Prozessverantwortung gehört es, dass alle Beteiligten den wiederkehrenden Ablauf des Prozesses kennen und untereinander kommunizieren. Das bedeutet, dass wir für die Zusammenarbeit ein geeignetes Format für den Informationsaustausch nutzen und die Abfolge der Informationen zum Prozess passt.

Zur Einarbeitung von neuen Personen im Prozess braucht es eine Beschreibung der Zusammenarbeit und der einzelnen Aktivitäten. Diese Anleitung sollte korrekt, vollständig und aktuell sein. Auch das gehört zur Verantwortung für den Prozess.

Wer die Prozessverantwortung übernimmt, sollte innerhalb der Prozessbeteiligten gut vernetzt sein. Dazu gehört es, die einzelnen Aktivitäten gut zu kennen, um die Herausforderungen und Engpässe Bescheid zu wissen und bei Problemen gleich die richtigen Personen ansprechen zu können. Diese Vernetzung hilft auch, dass alle Beteiligten wissen, wohin sie sich wenden, wenn mal etwas nicht so läuft wie geplant.

Prozessverantwortung bedeutet, die aktuelle Arbeitslast des Prozesses zu kennen und drohende Ressourcenengpässe möglichst vorausschauend abzusehen.

Schließlich gehört es zu dieser Beobachtungsverantwortung im Prozess, dass die für die Zusammenarbeit erhobenen Kennzahlen sinnvoll und richtig sind.

Prozessverantwortung und Führung

Dieses Verständnis von Ergebnis- und Prozessverantwortung bedeutet, dass Führung auf mehrere Aspekte verteilt wird. Ressourcenverantwortung und „disziplinarische“ Führung brauchen ein Pendant der kollegialen Führung. Die Prozessverantwortung in diesem Sinn ist am besten wahrzunehmen, wenn sie nicht durch ein hierarchisches Verhältnis überlagert wird. Beobachtung in der Führung ist ein kollegialer Austausch auf Augenhöhe, Kontrolle ist ein hierarchischer Akt. Beide Aspekte von Führung sind sinnvoll und je nach Umstand notwendig.

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