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Wie optimiert man eigentlich Prozesse? Die meisten Methoden im Prozessmanagement liefern Instrumente für die Modellierung und Analyse von Geschäftsproezssen – aber beim Entwurf für neue Prozesse bieten sie wenig Hilfe. Ich möchte Prozessmanagern eine Orientierung geben und identifiziere dazu drei Richtungen der Veränderung: Prozesse nach Aktivitäten differenzieren, Aktivitäten integrieren und Prozesse standardisieren. Hier lesen Sie, welche Prozessveränderung mit diesen prinzipiellen Strategien verbunden ist und in welchem Umfeld sich welche Strategie anbietet.

Differenzierung: Wenn Experten zum Engpass werden

Prozesse differenzieren hilft immer dann, wenn Experten zu Engpässen werden: Der gesamte Prozess gilt als so komplex, dass die wenigen Spezialisten „ihre“ Vorgänge von A bis Z in der Hand halten müssen. Ein Beispiel: In der Prüfungsabteilung bei einer IHK werden gut zwei Dutzend verschiedene Sach- und Fachkundeprüfungen organisiert, mit denen Gewerbetreibende die Qualifizierung für ihr Gewerbe nachweisen. Da die Voraussetzungen und Bedingungen für jede dieser Prüfungen spezifisch sind, arbeiten die Mitarbeiter spezialisiert auf eine bestimmte Gruppe von Prüfungen. Mit der Zeit haben sie alle ihre eigenen Abläufe, Formulare und Systeme entwickelt, sodass die Prozesse untereinander kaum austauschbar sind.

Die Blackbox von Experten öffnen

Differenzierung bedeutet hier, die Devise „alles aus einer Hand“ aufzugeben und einzelne Aktivitäten für eine größere Gruppe freizugeben. Das entlastet die Experten und schafft die Möglichkeit, Arbeitslasten in der Abteilung besser auszugleichen.

Die Prozessmanager haben hier die Aufgabe, zusammen mit den Beteiligten, die „Blackbox“ von komplexen Arbeitspaketen zu öffnen und die einzelnen Arbeitsschritte darin zu identifizieren. Sie fragen, welche Arbeitsschritte mit welchen Kompetenzen und Instrumenten bearbeitet werden können und wo die Schritte durch Übergabepunkte klar voneinander abzugrenzen sind. So wird deutlich, welche der Arbeitsschritte wirklich nach dem Expertenwissen rufen und welche Tätigkeiten auch von weniger qualifizierten Personen ausgeführt werden können.

Risiko: zusätzliche Übergaben

In dieser Strategie werden bisher integrierte Arbeitspakete fragmentiert, es entstehen zusätzliche Übergaben und Unterbrechungen. Daher kommt es bei diesem Ansatz besonders darauf an, die Übergabebedingungen und die Informationsmedien zu definieren.

Integration: Ein Fall für den Case Worker

Das Muster Integration geht den umgekehrten Weg: Wo vorher Arbeitsschritte auf verschiedene Akteure verteilt waren, soll zukünftig der ganze Prozess „in einem Rutsch“ erledigt werden. Der Weg zu diesem Prozessmuster führt über die Förderung von Generalisten, so genannten „Case Worker,“ die möglichst viele Standardfälle abschließend bearbeiten können.

Zahlreiche Call-Center-Organisationen gehen diesen Weg und bieten ihren Kunden die integrierte Sachbearbeitung im Service-Center an. Der Agent am Telefon nimmt nicht mehr nur Kundenanfragen und –Anliegen entgegen und „öffnet ein Ticket“, sondern hat die Kenntnisse, Instrumente und Befugnisse, die meisten Anfragen gleich abschließend zu erledigen. Dazu braucht es klare Entscheidungsregeln und Regelungen für Grenzfälle, damit die Bearbeiter im Zweifelsfall auch über Kulanz entscheiden können. Lediglich die „schwierigen Fälle“ bleiben noch den Experten vorbehalten, deren primäre Aufgabe es sonst ist, die Case-Worker am Service Desk immer weiter zu qualifizieren.

Das Prozessmodell wird in diesem Muster oft recht übersichtlich und besteht aus wenigen Aktivitäten. Denn die Differenzierung, was der Bearbeiter in welchem Fall tatsächlich tun soll, gehört nun in die Arbeitsanweisung für die integrierte Bearbeitungs-Aktivität. Prozessmodelle sind nur bedingt geeignet, solche Fallbearbeitungsmuster zu modellieren. Wer die Inhalte der Fallbearbeitung etwas genauer darstellen will, kann in der BPMN das Muster des Ad-hoc-Teilprozesses verwenden. Hier wird deutlich, welche Optionen dem Fallbearbeiter zur Verfügung stehen. Welche dieser Optionen er in welcher Reihenfolge wählt, bleibt aber seinem Erfahrungswissen vorbehalten.

Decision Management ist entscheidend

Ein zweiter wichtiger Baustein für diese Strategie ist das Regelmanagement. Wenn Fallarbeiter eigenständig Entscheidungen treffen sollen, sind die geltenden Regelwerke übersichtlich darzustellen und ständig zu aktualisieren. Entscheidungsdiagramme mit dem Modellierungsstandard DMN (Decision Model and Notation) sind dafür ein probates Mittel. Sie können auch helfen, Entscheidungen teilweise zu automatisieren und bieten klare Regeln, wann ein Fall als „Sonderfall“ an einen der Experten zu leiten ist.

Der Klassiker: Standardisierung

Wer „Prozessmanagement“ hört, denkt meistens zuerst an Standardisierung von Geschäftsprozessen. Dabei ist Standardisierung nur eins von mehreren Mustern im Prozessdesign. Der Weg bietet sich insbesondere an, wenn der Ressourcenverbrauch für die Pflege verschiedener Prozesse die wichtige Herausforderung ist. Wenn in verschiedenen Teilen eines Unternehmens für gleiche Aufgaben unterschiedliche Prozesse gepflegt werden, braucht das Unternehmen verschiedenen IT-Systeme zur Unterstützung, unterschiedliche Anweisungen, Entscheidungsregeln, Organigramme und Zuständigkeiten für die gleiche Aufgabe. Das kostet.

Das Ziel: Prozesskosten senken

Häufig sind Prozess-Management-Projekte angestoßen durch die Anforderung, eine gemeinsame ERP-Lösung für das Unternehmen einzuführen und verschiedene Altsysteme abzulösen. Das einheitliche System soll die Unterhaltskosten senken und den Prozess über die verschiedenen Unternehmensteile hinweg transparent machen.

Für die bisher autonomen Prozessverantwortlichen bedeutet das einen Verlust an Eigenständigkeit und an Flexibilität sowie eine stärkere externe Kontrolle. Da versteht es sich, dass ein solches Projekt nicht mit Begeisterung empfangen wird. Die Aufgabe des Change Management ist hier vor allem, den Blick der Beteiligten von der Bereichslösung hin zur Überlebensfähigkeit des Gesamtunternehmens zu lenken.

Versteckte Standardisierung

Die Strategie der Standardisierung versteckt sich auch hinter scheinbar harmlosen „Ist-Prozessen“. Auch wenn es heißt, dass man zunächst „nur die Ist-Prozesse aufnehmen“ will, ohne diese schon zu optimieren, bedeutet das in der Regel schon eine Standardisierung. Denn die wirklich gelebten Prozesse lassen sich gar nicht in einem einheitlichen Prozessmodell darstellen – dafür sind sie viel zu uneinheitlich. Wenn das Prozessmodell dennoch einen gemeinsamen Standard vorgibt, ist damit schon eine Veränderung verbunden. Entweder diese Veränderung ist gewollt – dann ist es Standardisierung, oder die gemeinsamen Prozesse sind ohne Bedeutung. Dann gelten sie meistens schnell als Schrankware, für die sich keiner interessiert.

Nützliche Kategorisierung?

Mir erscheint die Unterscheidung der unterschiedlichen Richtungen der Veränderung hilfreich, um im jeweiligen Fall eine Orientierung zu bekommen, welche Art von „Optimierung“ für einen Prozess angemessen ist. Wie sehen Sie diese Kategorisierung? Deckt das Ihrer Meinung nach die wesentlichen Aspekte ab? Können Sie diese Starthilfe für Ihren kreativen Prozess nutzen? Ich freue mich auf Ihre Kommentare.

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