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Viel zu häufig wird das Anforderungsprofil in der Suche nach passendem Personal vernachlässigt. Aber was gehört in ein Anforderungsprofil? In diesem Beitrag erfahren Sie eine bewährte Methode, wie wir die erforderlichen Kompetenzen gezielt erheben. Wir wollen zum einen Kompetenzen benennen, die für die jeweilige Tätigkeit wirklich relevant sind, und sich zum anderen auch einigermaßen objektiv beobachten lassen.

Schauen wir auf gängige Stellenausschreibungen, dann finden wir meistens vage Allgemeinplätze wie „teamfähig“ oder „kundenorientiert“. Wie will man dann beurteilen, ob eine Bewerberin oder ein Bewerber auf die Stelle passt? Diese Unschärfe fördert den „Nasenfaktor“.

Manchmal nennen Unternehmen als Anforderung „x Jahre Erfahrung“ in vergleichbarer Position. Aber ist das wirklich relevant? Eine Person, die sich lange Zeit in einer ähnlichen Stelle gehalten hat, dabei aber wenig erfolgreich war, trifft nicht die Erwartungen, auch wenn sie die genannte Anforderung erfüllt.

Aber wie finden wir heraus, welche Anforderungen wirklich wichtig sind? Was wirklich in ein Anforderungsprofil gehört? Mit der Methode „Critical Incident Technique“ machen wir die Anforderungen an Kompetenzen über die Analyse kritischer Situationen greifbar. Darum geht es in diesem Beitrag. Der nächste Beitrag stellt ein Testverfahren vor, das uns hilft, die für eine Position gewünschten Persönlichkeitsmerkmale zu formulieren. In einem dritten Artikel werde ich die beiden Verfahren kritisch beleuchten und Ideen für eine zukunftsorientierte Definition von Anforderungen diskutieren.

Kritische Situationen erheben

Um ein Anforderungsprofil für eine Vakanz bei meinen Kunden zu erstellen, verwende ich in der Regel die Methode „Critical Incident Technique“, eben wir mit einem bewährten Vorgehensmodell zügig zu belastbaren Ergebnissen kommen. Gemeinsam mit meinen Kunden identifiziere ich kritische Situationen im Arbeitsumfeld der Position. „Kritisch“ ist eine Situation dann, wenn man am Verhalten in dieser Situation den Unterschied erkennt zwischen Personen, die ihre Aufgabe sehr gut, weniger gut oder gar nicht gut erledigen. In diesen Situationen zeigen sich die Kompetenzen, die in ein Anforderungsprofil gehören.

Dazu führe ich Interviews mit zahlreichen Personen rund um die zu besetzende Stelle: Vorgesetzte, Mitarbeitende, Kolleginnen und Kollegen, eventuell derzeitige Stelleninhaber, interne Kunden und Lieferanten und wenn möglich auch externe Stakeholder.

Die Interviewpartner entscheiden aus ihrer jeweiligen Perspektive, in welchen Situationen sie Unterschiede sehen. Sie sollen sich dabei möglichst an konkret erlebte Begebenheiten erinnern, wo sie mit der Arbeit oder dem kollegialen Verhalten einer Person mehr oder weniger zufrieden waren.

Konkrete Erinnerungen reflektieren

Ich bitte die Interviewpartner dann, mir konkret zu schildern, wie sich andere Personen in der jeweiligen Situation verhalten haben. Welche Auswirkungen hatte das für die befragte Person? Welche Erwartungen hatte sie in dem Moment, wie klar waren die Erwartungen? Nach Möglichkeit sollen die Interviewpartner mehrere Personen mit ihrem Verhalten schildern – jeweils ein Beispiel für besonders gut, weniger gut und schlecht. Die Bewertung darüber liegt dabei bei den Interviewpartnern.

Aus diesen Interviews entsteht eine Sammlung von Situationen und Verhaltensankern, die beispielhaft für die Arbeitswelt der zu besetzenden Stelle sind. Manchmal sind aber die Bewertungen unterschiedlicher Personen durchaus widersprüchlich, dann wird deutlich, dass man es in dieser Position nicht allen recht machen kann. Die Sammlung der Arbeitssituationen, Verhaltensanker und Bewertungen diskutieren wir dann im Kreis der Personen, die die Auswahl vornehmen sollen.

Auf Kompetenzen schließen

Im nächsten Schritt stellen wir zusammen, welche Kompetenzen und Eigenschaften einer Bewerberin, eines Bewerbers für das gewünschte Verhalten förderlich sind. Die notwendige fachliche Kenntnis und Erfahrung sowie die formal erforderlichen Qualifikationen kann man dabei schnell feststellen. Ebenso schnell bearbeiten wir die körperlichen Anforderungen. So macht es einen Unterschied, ob man bei einer Tätigkeit zum Beispiel viel heben muss oder ob gutes Hören und Sehen für die Tätigkeit relevant sind.

Es ist häufig schon erstaunlich, wie differenziert die Anforderungen an dieser Stelle bereits sind, wenn sonst sehr allgemeine Beschreibungen wie „drei Jahre Berufserfahrung im technischen Support“ genannt werden.

Soziale Herausforderungen einordnen

Richtig interessant wird die Analyse aber, wenn wir die erhobenen Situationen unterscheiden. Von welcher Art sind die sozialen Herausforderungen der Stelle?

  • Kommuniziert man mit vertrauten oder mit fremden Personen?
  • Spricht man persönlich mit Kollegen und Geschäftspartnern, eher remote, oder eher schriftlich?
  • In welchen Sprachen ist zu kommunizieren?
  • In welcher Umgebung – im Büro, in einer Werkhalle, auf einer Baustelle…?
  • Kommuniziert man eher 1:1 oder in Gruppen?
  • Ist die Kommunikation vertrieblich geprägt oder unterstützend?
  • Sind Spannungen oder Tabus zu beobachten?
  • Ist die Kommunikationssituation eher symmetrisch auf Augenhöhe oder von Hierarchie überlagert?
  • Welche Kultur prägt die Kommunikation, gibt es Do’s und Dont’s?

Herausforderungen bewerten

Schließlich bewerten wir die Situationen noch danach, wie eindeutig und klar sie für die betreffenden Personen sind.

  • Sind die Erwartungen an die Person klar?
  • Gibt es unscharfe oder ambivalente Erwartungen? (Ambivalenz zeigt sich zum Beispiel darin, dass in den Interviews verschiedene Personen ähnliches Verhalten mal positiv und mal negativ bewertet haben.)
  • Ändern sich die Erwartungen?
  • Sind die Lösungen in den Situationen bekannt, können sie gelernt und abgerufen werden?
  • Wiederholen sich Aufgaben gleichmäßig?
  • Sind Aufgaben eher kreativ?
  • Gibt es Dilemmata, also Zwickmühlen, wo man kein „richtig“ oder „falsch“ sieht?
  • Sind die nötigen Tätigkeiten eher wissensgeprägt, handwerklich oder kommunikativ?

Kompetenzen für ähnliche Situationen suchen

Beim Sammeln der Situationen und Verhaltensanker achten wir auf konkrete Beobachtungen – für die Anforderungen sollten wir aber wieder allgemeiner formulieren. Schließlich wollen wir ja Personen finden, die nicht nur auf eine spezifische Situation „programmiert“ sind. Wir suchen Menschen mit den richtigen Kompetenzen, um in ähnlichen Herausforderungen erfolgreich zu handeln.

Im Anforderungsprofil nutzen wir daher abstrakte Anforderungen wie „erledigt wiederholende Aufgaben mit hoher Konzentration“ oder „kommuniziert selbstbewusst mit höheren Führungspersonen.“ Diese Formulierungen sind für die anschließende Personalauswahl hilfreicher. Sind die Anforderungen zu konkret, passen sie am Ende nur für eine sehr eng beschriebene Aufgabe.

Mit etwas abstrakteren Anforderungen können wir auch leichter auf Quereinsteiger eingehen. Also Personen, die in ihrer beruflichen Laufbahn nicht genau die gesuchten Erfahrungen mitbringen, aber in ihrer Tätigkeit ähnlich gelagerte Herausforderungen erfolgreich bewältigt haben. Wenn der Personalmarkt dünn wird, muss man in der Auswahl flexibler werden. Und dennoch sollten wir Personen an unserem Anforderungsprofil messen.

Was gehört in ein Anforderungsprofil?

Damit wir bei den Interviews mit Bewerberinnen und Bewerbern die Anforderungen nicht aus den Augen verlieren, ist es wichtig, dass wir sie aufschreiben und allen an der Auswahl beteiligten Personen in Erinnerung rufen. Eine faire Auswahl erfordert, dass Bewerbende an gleichen Maßstäben gemessen werden. Nur so bewahren wir uns davor, uns von unseren versteckten Vorurteilen blenden zu lassen.

Wir haben gesehen, wie wir mit der Sammlung kritischer Situationen auf die Qualifikationen für Stellen schließen können. Diese Schlüsselqualifikationen gehören in ein Anforderungsprofil. Im nächsten Artikel schauen wir gezielt auf die überfachlichen Kompetenzen und wie wir die mit einem Fragebogen zur Persönlichkeit herausarbeiten.

Spitz formulierte Anforderungen sind der Schlüssel zu gutem Personal. Wenn Sie Personal suchen und Ihre Anforderungen dafür schärfen wollen, schreiben Sie mir. Ich unterstütze Sie gerne dabei.

(Foto von Isaac Garcia auf Unsplash)

 

 

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