Wie geht man richtig mit Fehlern um? Fehler sind notwendig. Sie sind nicht nur unvermeidbar, wir brauchen sie zum Lernen. Wenn Veränderungen im Team nicht umgesetzt werden, ist Angst sehr oft der Grund. Die Angst vor dem Fehler erdrückt geradezu die Lust auf das Neue. Damit Veränderungen gelingen, brauchen wir also ein neues Verhältnis zum Fehler.
Ursachenforschung greift zu kurz
Wenn wir nach „Fehlermanagement“ googeln, dann finden wir schnell den Hinweis, dass wir nicht nach Schuldigen suchen sollen. Vielmehr sollten wir die „Ursachen“ eines Fehlers erkennen und diese dann „abstellen“. Das ist leicht gesagt. Im Lean Management wird zur Ursachenanalyse empfohlen, fünf Mal „Warum?“ zu fragen. Wenn die erste Antwort auf „Warum hat der Kunde den falschen Artikel bekommen“ lautet, „weil im Versand der falsche Artikel gepickt wurde“ lautet, dann folgt die Frage „Warum wurde der falsche Artikel gepickt?“. Die Antwort könnte sein, dass zwei ähnliche Artikel nebeneinander im Regal liegen. Dann wäre zu fragen, warum zwei ähnliche Artikel im Regal nebeneinander liegen – und so fort.
Das Ziel dieser Frageweise ist es, den Blick von den scheinbar offensichtlichen Ursachen abzuwenden und auf die Ursachen zu kommen, die dahinter stehen, die also im System begründet sind. Häufig wird auch empfohlen, bei diesen Fragen gezielt nach Ursachenfeldern zu forschen. Nach Ursachen, die bei Menschen zu suchen sind, bei Maschinen, bei Methoden, bei Material, bei Mitwelt oder bei Money. Die beiden letzten Begriffe wurden so gewählt, dass es eine leicht merkfähige Alliteration ergibt.
Die „Ursache“ ist nur ein Konstrukt
Aber warum gerade fünf Mal „Warum?“ Warum nicht sieben Mal oder drei Mal? Das ist meines Wissens völlig willkürlich. Klingt halt gut. Aber bekommen wir auf diese Weise wirklich die richtige Ursache heraus? Nein, natürlich nicht. Wir erhalten im Idealfall eine große Sammlung möglicher Faktoren, die zur Entstehung eines Fehlers beigetragen haben könnten. Wenn wir uns jetzt auf eine „Ursache“ festlegen, die wir „abstellen“ wollen, dann ist diese Entscheidung wieder willkürlich. Meistens ist sie davon geleitet, was wir gerade ohne größeren Eingriff „abstellen“ können.
Die „Ursache“ ist also kein objektiver Begriff sondern ein Konstrukt unserer Ursachenforschung. Und weil wir bei dieser Forschung häufig vermeiden wollen, einander weh zu tun (wir sollen ja keine Schuldigen suchen!), finden wir auch sozial erwünschte Ursachenvorschläge. Die „Ursache“ ist also ein soziales Konstrukt.
Wie Ursachenanalyse gelingen kann
Mein Fazit für diese Methode: Wir brauchen ein Umfeld und eine Moderation, die gewährleistet, dass wir mit der Vorgabe „keine Schuldigen suchen“ nicht mögliche Ursachen ausblenden, nur weil sie im Team nicht gerne ausgesprochen werden. Und zweitens brauchen wir einen Weg, die Sammlung möglicher Faktoren unabhängig von den Lösungsmöglichkeiten zu bewerten – sonst ernten wir nur die low hanging fruits. Aber wie geht man richtig mit Fehlern um?
Wie geht man mit Fehlern um?
Aber bei Licht betrachtet sind ja nicht nur die Ursachen soziale Konstrukte – der Fehler selbst ist ja nur ein Konstrukt unserer Betrachtung. Hinterher ist man immer schlauer. Erst im Nachhinein erweist sich ein bestimmtes Verhalten als fehlerhaft. Im Moment des Handelns erscheint es durchaus sinnvoll. Manchmal ist es auch so, dass es eine allgemeine soziale Akzeptanz für ein Handeln gibt, das sich später als unvorteilhaft herausstellt. Dann wird es schnell zum Konsens, darin einen Fehler zu sehen und es melden sich sofort die „Experten“, die das immer schon gesagt haben. Die Gas-Einkaufs-Politik der früheren Bundesregierungen ist ein beredtes Beispiel dafür.
Hinterher ist man immer schlauer
Fehler gibt es also gar nicht. Sie werden erst im Nachhinein konstruiert. Allein diese Einsicht könnte schon dazu helfen, Druck aus der Sache zu nehmen. Jeder Mensch, der etwas tut, was später als falsch angesehen wird, tut das in diesem Moment in der Annahme, etwas Richtiges zu tun. (Würde jemand in vollem Bewusstsein etwas Falsches tun, wäre es Sabotage – und in diesem Sinne wieder „richtig“). Auch die Einschätzung, dass eine bekannte Vorgabe „jetzt nicht so wichtig“ ist, macht das Handeln in diesem Moment für den Handelnden sinnvoll. Wir können also keine Fehler machen – wir können nur im Nachhinein ein Handeln als Fehler ansehen.
Eine neue Fehlerkultur
Diese Einsicht ist der Schritt in eine neue Fehlerkultur. Wenn etwas als Fehler angesehen wird, ist das eine gute Gelegenheit, die Denk- und Arbeitsweise des Teams zu verstehen. „Fehler sind Fenster zum System“, nennt Anette Gebauer das in ihrem Buch „Kollektive Achtsamkeit organisieren“. Wenn etwas unerwartet läuft, können wir darauf schauen, wie wir in diesem Moment sinnvolles Handeln bewertet haben. Und das bedeutet Lernen.
„Wie geht man mit Fehlern um“ heißt also: Wir wollen erfahren, wie wir zu dem „fehlerhaften“ Handeln gekommen sind. Vielleicht haben es einige ja schon früher als „falsch“ erachtet, aber im Moment des Handelns hat sich diese Ansicht nicht durchgesetzt. Wie kommen wir im Team zur Einschätzung, was „richtig“ ist?
Wie machen wir uns Sinn?
Dazu schauen wir auf das ablaufende Verhalten. Und die Personen, die dabei waren, die also „den Fehler gemacht“ haben, rechtfertigen sich nicht. Sie sind die Experten, denn nur sie kennen den Entscheidungs- und Handlungsprozess dieses Moments. Es geht darum, was sie im Moment und im Vorfeld wahrgenommen haben – und was sie nicht wahrgenommen haben. Wahrnehmen heißt sehen, hören, schmecken, riechen, aber auch fühlen. Wie hat sich das in dem Moment „angefühlt“? Was geht einem durch den Bauch und den Kopf? Wie haben sie die Herausforderung, die Aufgabe, das Problem verstanden? Haben sie vielleicht Herausforderungen gesehen, die anderen nicht bewusst waren? Welche Optionen haben sie gesehen und wie haben sie sie bewertet? Was erschien ihnen in diesem Moment wichtig? Was weniger wichtig?
Aus dieser gemeinsamen Betrachtung erfahren wir, welche unausgesprochenen Vereinbarungen unsere Arbeit bestimmen, welche Annahmen wir stillschweigend machen, welche Informationen wir ausblenden, welche wir wie bewerten. Wir lernen, wie das Team „Sinn macht“. Und damit können wir unsere Entscheidungs- und Handlungsprozesse verbessern.
Das Fenster zum Team
Es geht dabei nicht darum, diesen Fehler in Zukunft zu vermeiden, sondern darum aufmerksamer auf die stillschweigenden Annahmen zu werden und sie in Frage zu stellen. Das Team wird aufmerksamer, wenn wir darauf schauen. Häufig erkennen wir dann in scheinbar fehlerhaftem Verhalten einen positiven Aspekt, den wir für das Team behalten wollen. Im Falschen gibt es viel Richtiges.
Wir werden die Fehler vermissen
Und was machen wir dann mit dem ursprünglichen Fehler? Wir korrigieren oder kompensieren ihn und betrachten die Kosten als Investition in das Lernen des Teams. Vergossene Milch kommt nicht mehr zurück in die Tüte.
Fehler sind eine gute Gelegenheit, die eingeschliffenen Annahmen, Glaubenssätze und Arbeitsweisen unseres Teams zu verstehen. Die Kolleg*innen, die einen „Fehler“ begehen, schaffen uns diese Gelegenheit zum Lernen. Sie werden feststellen: Haben wir einmal die Haltung dazu geändert, werden wir bald die Gelegenheiten zum Lernen vermissen, weil die Fehler weniger werden. Schade?
Wenn Sie die Fehler in Ihrem Team vermissen wollen, dann lassen Sie uns darüber sprechen. Hier können Sie einfach einen Termin für ein unverbindliches Gespräch vereinbaren.