In seinem Buch „Agilität neu denken“ kommt Klaus Leopold schnell zum Kern der Sache. Es geht nicht um allerlei agile Methoden wie Scrum oder Kanban, sondern um die wirksame Kommunikation entlang der Wertschöpfungskette. Dafür sorgen, „dass zur richtigen Zeit, die richtigen Leute miteinander über die richtigen Themen reden.“ So einfach hat noch keiner Agilität zusammengefasst.
Die fünf Dinge agiler Arbeit
Der erste Beitrag dieses Buches ist es, den Sinn agilen Arbeitens von den Methoden zu trennen. Egal welche agilen Methoden in den Teams zum Einsatz kommen, es geht immer darum, die fünf wesentlichen Dinge zu tun, die laut Leopold den Kern agilen Arbeitens ausmachen:
1. Die Situation visualisieren: Wissensarbeit ist per se nicht greifbar, also sieht auch niemand, woran gerade gearbeitet wird. Die Visualisierung der momentanen Situation „wer tut gerade was?“ ist die Basis aller agilen Zusammenarbeit.
2. Fokus schaffen: Alle agilen Methoden haben zum Ziel, dass sich die Leute in den Teams nicht verzetteln, sondern eins nach dem anderen tun. In der einen Methode heißt das „Work in Progress-Limit“, in der anderen „Sprintplanung“. Am Ende geht es um Fokus.
3. Regelmäßige Kommunikation: Es ist nicht wichtig, ob ein „Standup-Meeting“ 5 Minuten oder 20 Minuten dauert. Die Menschen, die zusammen an einem Ergebnis arbeiten, sollen lieber kurz, dafür aber öfter miteinander sprechen. Und sie sollen vorausschauend kommunizieren.
4. Den Fortschritt messen: Bei jeder Initiative stellt sich die Frage: Woran merken wir in x Wochen, dass wir weiter gekommen sind? Diese frage führt zu den entscheidenden Metriken. Es macht keinen Sinn, alle Metriken aus den Agil-Lehrbüchern anzuwenden und das Projekt kaputtzumessen.
5. Verbessern. Nicht lange darüber reden, was wäre wenn. Wenn die Ziele und die Situation klar sind und Beobachtungskriterien vereinbart, dann gilt es „TUN“. Wenn dann schnelle Rückmeldung kommt, darf man auch mal das falsche tun und dann korrigieren.
Flight Levels: agile Teams im Unternehmen organisieren
Der zweite wichtige Beitrag des Buches ist das Konzept der „Flight Levels“ als Organisation der Kommunikation zwischen den agilen Teams. Wenn in einem Unternehmen viele agile Teams an ihren Initiativen arbeiten, dann kommt es auf diese Koordination an. Sonst bleibt der Output des Gesamtsystems auf der Strecke. Es gibt immer Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Projekten und Prozessen im Unternehmen.
Klaus Leopold zeigt in seinem Buch „Agilität neu denken,“ wie der gesamte Output leidet, weil die Entscheidungszyklen der verschiedenen Gremien sich gegenseitig blockieren und in jedem Team die Liste der Tasks unter „warten auf Extern“ immer weiter wächst. Zur Steuerung agiler Teams im Gesamtunternehmen sieht Leopold drei Ebenen, die „Flight Levels“. Sie sind auch Namensgeber für seine „Flight Level Academy„:
Flight Level 1: Zuerst die „operative Ebene.“ Das ist die Arbeit der agilen Teams, wie auch immer sie ihre Zusammenarbeit unter den genannten fünf Schritten organisieren.
Flight Level 2: Viel wichtiger ist die zweite Ebene, die „Koordination“. Das Unternehmen identifiziert, welche Teams an einem für den Kunden wirksamen Ergebnis zusammenarbeiten. Diese Flight-Level-2-Teams organisieren sich entlang derselben fünf Schritte und schauen darauf, dass die einzelnen Teams rechtzeitig die Inputs bekommen, die sie brauchen. Hier geht es auch darum, Entscheidungszyklen über das Unternehmen hinweg zu koordinieren.
Flight Level 3: Im „Strategischen Portfolio Management“ entscheidet sich, ob das Unternehmen mit der agilen Arbeitsweise zu mehr und besserem Output kommt. Wenn nämlich das Management ständig neue Initiativen in die agile Pipeline schiebt, dann können auch die besten agilen Teams die nicht abarbeiten. Agilität ist – das mag für viele neu sein – kein Wundermittel.
Bei der Steuerung, welche Initiativen von welchen Flight-Level-2 Teams aufgenommen werden sollen, gelten wieder die gleichen fünf Schritte agiler Arbeit wie auch in den operativen Teams.
Ein neues Kleid für die alte Tante?
Eine der zentralen Herausforderungen bei der Einführung agiler Arbeit in Organisationen ist hier die Identifikation der Flight-Level-2-Teams: Welche Produkte oder Abläufe (Leopold vermeidet das Wort „Prozess“) führen zu relevanten Outputs, die den (internen oder externen) Kunden Wert liefern? Dazu beschreibt Leopold die Herangehensweise einer „Arbeitssystem-Topologie“. Drei Merkmale charakterisieren eine solche Topologie: Services für den Endkunden, der Betrieb von Plattformen, die für mehrere Services an Kunden genutzt werden und unterstützende Services. An dieser Stelle des Buches konnte ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen: Hat hier die alte Tante Prozesslandkarte ein neues agiles Kleidchen bekommen?
Agilität neu denken?
Hat Leopold nun sein Versprechen eingelöst, unser Denken über Agilität umzukrempeln? Ich weiß nicht, wie viel an den Impulsen „neu“ ist, aber das ist meines Erachtens nicht wichtig – die meisten guten Organisationskonzepte sind Weiterentwicklung des schon Bekannten. Ich finde sein Konzept der Flight Levels praktikabel und für die Menschen im Unternehmen anschlussfähig. Das bedeutet, dass Unternehmen damit gut arbeiten können.
Das Dilemma der Planung
Auf eine alte Frage hat Leopold in seinem Buch aber auch keine Antwort – und die ist wichtig: Wie sollen in einer agilen Unternehmenssteuerung die Ressourcen auf Initiativen und agile Teams verteilt werden? Er spricht zwar von einem „strategischen Portfoliomanagement“, klammert aber die Ressourcenfrage aus. Es geht darum, wie Management mit seinen zentralen Dilemmata umgehen soll.
Das erste Dilemma ist der Umstand, dass niemand weiß, wie viele Ressourcen eine Initiative für eine agile Umsetzung benötigt – das Management aber dennoch Ressourcen bereitstellen muss. Das zweite Paradox ist, dass in einem Portfoliomanagement entschieden wird, welche Initiative gegenüber einer anderen den Vorzug bekommen soll, auch wenn die Zukunft zeigen kann, dass die andere wichtiger gewesen wäre.
Das in agilen Systemen verankerte „Pull-Prinzip“ kann für die Verteilung von Ressourcen nicht ohne weiteres gelten: Es hieße: „Nehmt euch, was Ihr braucht.“ Oder „Es dauert so lange, wie es dauert.“ Wir wissen aber, dass alle Systeme ohne Führung dazu tendieren, immer mehr Ressourcen zu verbrauchen.
Über Sprintplanung oder WIP-Grenze (Obergrenze für Vorgänge in Arbeit) haben agile Formate Lösungen, um Teams vor einer Überlast und dem Verlust des Fokus zu schützen. Die Steuerung darüber, wie viel mit den vorhandenen Ressourcen umsetzbar ist, bleibt unklar. Gesucht ist zum einen ein Instrument der Selbststeuerung, um in agilen Teams den Ressourceneinsatz im Verhältnis zum Outcome im Auge zu behalten. Zum anderen ein Instrument auf der strategischen Ebene, die vorhandenen Ressourcen auf die Initiativen zu verteilen und diese gegebenenfalls auch wieder abzuziehen.
Beratung für wirksame Zusammenarbeit
Mit meiner Beratung unterstütze ich Sie, im Unternehmen wirksame Formen der Kommunikation und der achtsamen Zusammenarbeit aufzubauen und zu erhalten. Dabei können wir viel von den New Organizing Konzepten wie Agilität nutzen. Welche Form aber die passende Organisation für Ihr Unternehmen ist, hängt sehr stark von der in Ihrem Unternehmen gelebten Führungskultur ab. Jede neue Organisationsform scheitert, wenn die Kultur nicht mitspielt. Wenn Sie herausfinden wollen, wie Sie neue Organisationsformen in Ihrem Unternehmen wirkungsvoll einsetzen wollen, freue ich mich auf Ihr Mail.
Hier die Angaben zum besprochenen Buch: Klaus Leopold, Agilität neu denken – Mit Flight Levels zu echter Business-Agilität, dpunkt.Verlag, 2. Auflage 2022, 26,90 € (D)