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Wie Sie mit einfachen Mitteln zu einer präzisen Prozessbeschreibung kommen

Kennen Sie eine Methode für eine einfache Prozesserhebung? Ich habe dazu viele verschiedene Moderationsformate ausprobiert und verrate Ihnen hier eine Schritt-für-Schritt-Anleitung für eine einfache und zuverlässige Variante. Wir fangen mit einem Brown-Paper-Workshop an und präzisieren die Information über sieben  Schritte zu einer kompakten BPMN-Prozessdokumentation für ein Prozess-Wiki. Die Methode basiert auf einem Lean-Management-Ansatz aus dem Japanischen, dort wird sie „Makigami“ genannt, das heißt auf Deutsch „Papierrolle“. Und die braucht man für diese Methode. Doch eins nach dem anderen:

Wozu dient die vorgestellte Methode?

Es geht hier nicht um die Automatisierung eines Prozesses. Das Vorgehen schafft eine einfache Prozesserhebung, ein gemeinsames Verständnis darüber

  • wer was tun soll
  • in welcher Reihenfolge die Arbeitspakete bearbeitet werden
  • wer welche Information von wem benötigt

Am Ende steht ein Prozessmodell mit einer kurzen Zusammenstellung zu jeder Aktivität. Dort erfahren alle Beteiligten, welches Ergebnis am Ende einer Aktivität von ihnen erwartet wird, was sie dafür tun sollen und wo sie den erforderlichen Input finden. Eine solche Dokumentation ist eine unverzichtbare Hilfe zur Einarbeitung von neuen Mitarbeitenden. Außerdem erledigt sie meisten Anforderungen von QM-Systemen.

Einfache Prozesserhebung in sieben Schritten

Das Vorgehensmodell umfasst sieben Schritte:

  1. Sammeln der Meilensteine zwischen Prozess-Start und -Ende in einem Workshop
  2. Sammeln der Arbeitspakete, die zum Erreichen der einzelnen Meilensteine von den beteiligten Rollen erledigt werden müssen
  3. Übertragen in eine einfache Excel-Tabelle
  4. Ausarbeiten der Ergebnisse, Tätigkeiten und Inputs zu jedem Arbeitspaket
  5. Konsolidieren der Arbeitspakete
  6. Erstellen eines BPMN-Modelles
  7. Hinzufügen der Dokumentation für die Aktivitäten des Modells

Schritt 1: Meilensteine sammeln

Starten wir einen Workshop für eine einfache Prozesserhebung mit Vertretern aller beteiligten Teams in einem Prozess. Herauszufinden, welche Teams beteiligt sind, ist eine wichtige Vorarbeit für dieses Verfahren.

Der Raum ist vorbereitet mit mehreren Moderationswänden und Papierbespannung (Sie werden viele dieser Wände benötigen – alternativ können Sie auch eine Wand des Raums nutzen, wenn sie die bekleben dürfen).

Start und Ende festlegen

Zuerst einigen wir uns darauf, welchen Zustand wir als Start eines Prozesses ansehen wollen (zum Beispiel der vorliegende Kundenauftrag). Dann legen wir fest, bis zu welchem Ereignis wir den Prozess als zusammenhängend anschauen wollen. Das braucht in der Regel schon eine gewisse Diskussion. Wir markieren den Start und das Ende jeweils mit einer Karte am linken und rechten Rand der Wand. Besser mit Nadeln pinnen als kleben – Sie werden sie vielleicht wieder umstecken wollen.

Rückwärts vorgehen

Vom Endereignis ausgehend fragen wir, welcher Meilenstein erreicht sein muss, damit der Prozess abgeschlossen ist. Wichtig hierbei: Notieren Sie keine Tätigkeiten, sondern Zustände wie „die Dokumentation ist dem Kunden übergeben“. Die Tätigkeiten, mit denen wir diese Meilensteine erreichen wollen, kommen später. Wir pinnen eine beschriftete Karte mit dem Meilenstein links vom Endereignis.

Zu jedem dieser Meilensteine fragen wir dann: „Welcher Meilenstein muss als Voraussetzung erreicht sein, damit wir diesen erreichen können?“ Und wieder pinnen wir eine Karte für den Meilenstein.

Später diskutieren

Dabei wird es vorkommen, dass wir mehrere Zwischenpunkte sehen als Voraussetzung für einen bestimmten Meilenstein. Macht nichts. Pinnen wir einfach mehrere Karten untereinander. Die Frage, ob diese Zwischenpunkte gleichzeitig, alternativ oder vielleicht doch hintereinander erreicht werden, können wir später diskutieren.

Wir wollen hier schnell ein gemeinsames Bild des ganzen Prozesses schaffen, darum halten wir detaillierte Diskussion zunächst zurück. Erst wenn wir alle Meilensteine gesammelt haben, diskutieren wir das gesamte Bild. Dann werden wir einige Karten zusammenfassen, an andere Stelle pinnen oder noch zusätzliche Karten schreiben. Der erste Schritt für die einfache Prozesserhebung ist geschafft.

Jetzt heißt es Handy zücken, die Moderationswände fotografieren und allen eine Pause gönnen. (Ich mache gute Erfahrungen mit einem PDF-Scanner auf dem Handy (z.B. von Adobe). Dann habe ich das Fotoprotokoll direkt als PDF.)

Schritt 2: Arbeitspakete sammeln

Die Wände mit dem ersten Ergebnis lassen wir stehen für die weiteren Schritte. (Hatte ich erwähnt, dass wir viele Moderationswände brauchen?) Für den zweiten Schritt bereite ich weitere Moderationswände wie folgt vor (oder den Raum auf der Wand): Mit schmalem Kreppband schaffe ich waagerechte Zeilen auf der Moderationswand. Jede Zeile benennen wir am linken Rand mit einer der beteiligten Rollen (Personen/Abteilungen…) . So können wir die Arbeitspakete je Rolle sammeln.

Nun geht die einfache Prozesserhebung in den zweiten Arbeitsschritt: Wir fragen alle Beteiligten, welche Aufgabe sie zu erledigen haben, damit Meilenstein 1 erreicht ist. Für jede Aufgabe, die eine Rolle zu erledigen hat, schreiben wir eine Karte und pinnen sie in die jeweilige Zeile rechts neben die Bezeichnung.

Phasen und Rollen markieren

Oben am Rand der Moderationswand benennen wir die Prozessphasen. Alle Meilensteine, die auf der Meilensteinwand untereinander stehen, bilden zusammen eine Phase. Am besten nummerieren wir die Phasen in beiden Moderationswänden gleich, dann kann man den Bezug gut erkennen.

Mein Tipp: Lassen Sie die erste Zeile frei und am linken Rand eine Spalte frei. Häufig stellt sich heraus, dass es eine „Phase 0“ gibt, wo vorbereitende Tätigkeiten erledigt werden. Die hat man bei der Sammlung der Meilensteine vielleicht vergessen. Außerdem gibt es immer wieder notwendige koordinierende Aufgaben, von denen nicht klar ist, zu welcher Rolle sie gehören. Dafür nutzen wir die freigelassene Zeile. Ich empfehle auch, für die Arbeitspakete eine andere Kartenfarbe zu nutzen als für die Meilensteine.

So sammeln wir für jede Phase mit einem oder mehreren Meilensteinen die Tätigkeiten der einzelnen Rollen. Wir werden öfter auf Aufgaben stoßen, die von mehreren Rollen gemeinsam oder parallel erledigt werden. Dann geizen wir nicht mit Karten und pinnen die gleich mehrmals in verschiedene Zeilen.

Haben wir alle Aufgaben gesammelt, dürften eine Menge an Moderationswänden mit Karten gespickt sein. Wieder heißt es Handy raus und Fotoprotokoll erstellen.

Schritt 3: Excel-Protokoll erstellen

Für die Protokollierung verwende ich ein Tabellenprogramm, dabei brauche ich aber keine Rechenfunktionen. Es geht nur um Spalten und Zeilen. Ich übertrage jede Karte in eine Zelle. Die Spalten entsprechen den Phasen am oberen Rand. Die Rollen sind auch in der Tabelle untereinander eingetragen. Wenn ich mehrere Karten pro Rolle und Phase habe, dann erfasse ich die untereinander. Am Ende verbinde ich in der ersten Spalte die Felder, um alle Arbeitspakete einer Rolle zusammenzubinden. Die Spalten hinterlege ich dann mit unterschiedlichen Hintergrundfarben. Das macht die Orientierung in den weiteren Schritten einfacher.

Dieser Schritt ist wenig kreativ, reine Fleißarbeit. Am besten machen Sie das noch direkt im Workshopraum, dann können Sie die Karten unmittelbar lesen. Wenn auf dem Foto was unscharf ist und die Karten längst im Müll, ist es zu spät.

Schritt 4: Input – Aktivität – Output – Matrix erstellen

Jetzt kommt Arbeit auf die Workshopteilnehmer zu. Ich bereite für jede Rolle eine weitere Excel-Tabelle vor. Dort gibt es für jedes Arbeitspaket aus der ersten Tabelle mehrere Zeilen. In der ersten Spalte steht die Bezeichnung des Arbeitspakets. Diese übernehme ich mit einem Zellbezug aus der „Muttertabelle“. So bleiben die Bezeichnungen immer konsistent.

Damit ich pro Arbeitspaket mehrere Zeilen bekomme, verbinde ich die Zellen in der ersten Spalte über drei bis vier Zeilen. So kann man später bei Bedarf leicht weitere Zeilen hinzufügen.

Einzelarbeit für die Workshopteilnehmer

Die Spalten zwei bis sechs sollen die Teilnehmer in Einzelarbeit befüllen. Dabei gehen sie von hinten nach vorn vor. Sie erfassen in Spalte fünf ein Ergebnis ihrer Tätigkeit und in Spalte sechs den Ort, wohin sie dieses Ergebnis liefern, zum Beispiel ein Dokument, eine Datenbank oder eine Anwendung.

Beim Ergebnis anfangen

In Spalte vier schreiben sie, was sie konkret tun, um dieses Ergebnis zu erreichen. Spalte drei steht für den Input, den sie dafür brauchen und Spalte zwei für die Quelle, den Ort, wo sie den Input zu finden erwarten. Das ist wieder ein Dokument, eine Datenbank, eine Anwendung oder etwas anderes. Quelle und Ziel können dabei auch gleich sein.

Häufig sehen die Beteiligten mehrere Ergebnisse für ihre Arbeitspakete. Dafür haben wir mehrere Zeilen pro Arbeitspaket. Braucht man mehr, kann man in der Tabelle einfach weitere einfügen.

Um die Orientierung zu erleichtern, empfehle ich, die Zeilen für die Arbeitspakete mit der gleichen Hintergrundfarbe zu versehen wie die Phase in der Muttertabelle. Diese Excel-Tabellen sind das Kernstück für eine einfache Prozesserhebung.

Schritt 5: Arbeitspakete konsolidieren

Haben alle Beteiligten ihre Arbeit erledigt, konsolidieren wir die Arbeitspakete. Die Arbeiten, die von einer Rolle an einer logischen „Stelle“ in der Prozessfolge erledigt werden können, fassen wir zu einem Paket zusammen. Stellen wir fest, dass einzelne Tätigkeiten aus einem Paket deutlich früher oder später gehören, teilen wir gegebenenfalls auch Arbeitspakte auf.

Ich spreche danach mit den Workshopteilnehmern und frage nach Rückmeldung. Meistens erfahre ich dann, dass die Aufgaben tatsächlich in mehreren getrennten Schritten erledigt werden. Oder es entsteht eine Idee, Tätigkeiten besser anders zurechtzuschneiden.

Jedes Arbeitspaket kann frühestens dann erledigt werden, wenn alle Inputs vorliegen, die von vorhergehenden Arbeitspaketen erstellt werden. Spätestens müssen sie bis zum genannten Meilenstein fertig sein.

Bei dem genannten Input in der Tabelle unterscheiden wir zwischen internem und externem Input. Interner Input wurde vorher bei einem anderen Arbeitspaket (dieser oder einer anderen Rolle) als Ergebnis genannt. Diese können wir wie gerade beschrieben einander zuordnen. Externer Input kommt von außerhalb. Da unterscheiden wir, ob dieses Wissen erst im Lauf des Prozesses hereinkommt oder schon am Anfang vorhanden ist (oder sein könnte)

Schritt 6: BPMN-Modell erstellen

Die einfache Prozesserhebung kommt jetzt in die Zielgerade. Wir erstellen mit den gesammelten Informationen ein BPMN-Modell, denn wir wissen jetzt, wie die Arbeitspakete voneinander abhängen. Der externe Input, der zu Beginn des Prozesses vorliegt, ist Bestandteil des Startereignisses. Input von außen, der im Laufe des Prozesses hinzukommt, kann als eingetretenes Nachrichten-Zwischenereignis dargestellt werden.

In der Modellierung zeigt sich auch der Vorteil, die Arbeitspakete zu konsolidieren. Denn zwei BPMN-Aktivitäten derselben Rolle hintereinander machen in einem Prozessmodell keinen Sinn.

Schritt 7: Dokumentation zu den Aktivitäten erfassen

Im letzten Schritt nutzen wir die von den Prozessbeteiligten erstellten Tabellen, um für jede Aktivität zu dokumentieren, welches Ergebnis erwartet wird, was für die Aktivität zu tun ist und wo der Input herkommt. Da wir Arbeitspakete konsolidiert haben und einzelne Arbeitspakete schon mehrere Tätigkeiten umfassen, kann es sein, dass wir für jede BPMN-Aktivität eine kleine Tätigkeitsliste erstellen. Diese Tätigkeiten organisiert die Rolle dann aber in Eigenregie – für den Prozess ist diese Mikro-Ebene irrelevant.

Wenn man eine Anwendung für die Dokumentation der Unternehmensprozesse verwendet, dann gehört die Verknüpfung von Aktivität und Dokumentation zur Standardfunktion. Klickt ein Betrachter auf eine Aktivität, sieht er die Dokumentation.

Alternativ kann man diese Prozessdokumentation auch in einem Prozess-Wiki ablegen. Das Wiki-Programm Confluence kann BPMN-Modelle darstellen und verwalten. Mit einem Plug-In kann man die Verknüpfung zu je einer Wiki-Seite pro Aktivität für die Dokumentation leicht herstellen.

Wer keine dieser Anwendungen im Unternehmen einsetzt, erstellt aus Modell und Dokumentation ein PDF-Dokument je Prozess und legt das an zentraler Stelle für alle Beteiligten ab. Auch diese simple Form der Prozessdokumentation schafft eine gute und einfache Prozesserhebung.

Wie Sie die einfache Prozesserhebung einsetzen

Mit dieser Anleitung können Sie das Vorgehensmodell zur einfachen Prozesserhebung gut selbst umsetzen. Manchmal ist es aber auch hilfreich, dass eine außenstehende Person die Prozessbeteiligten mit der Außenperspektive anleitet, die verschiedenen Perspektiven zusammenzubringen. Die Erfahrung bringt es mit sich, dass Sie mit externer Begleitung schneller ans Ziel kommen. Ich unterstütze Sie gerne dabei. Kontaktieren Sie mich einfach.

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