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In diesem Beitrag geht es um die kollektive Entscheidungsfähigkeit im Team. Wie können Führungskräfte ihr Team dahin entwickeln, gute Entscheidungen zu treffen und Fehler zu minimieren?

Führungskräfte fühlen sich den Kunden verpflichtet. Sie sehen es als ihre Führungsaufgabe, dafür zu sorgen, dass ihr Team für die Kunden eine gute und richtige Leistung erbringt. Oft genug dürfen sie dabei auch keine Fehler hinnehmen. Ein falsch angemischtes Medikament oder eine falsch berechnete Leistung bei einer Lebensversicherung sind schließlich keine Nebensächlichkeiten. Als Führungskraft muss man für die Leistung des Teams geradestehen.

Ich beobachte immer wieder, dass Führungskräfte aus diesem Grund viele Themen an sich ziehen und ihrem Team Entscheidungskompetenz abnehmen. Aber auch sonst landen schwierige Aufgaben oder Kundenfälle häufig auf dem Schreibtisch der Führungskraft, weil sonst niemand durchsteigt. Und diese Fälle werden mit der Zeit nicht weniger, sondern immer mehr. Dem kann man mit Regeln und Checklisten entgegenwirken. Damit kann man seine Leute gezielt einarbeiten, nach und nach mehr Arbeiten eigenständig zu übernehmen. Und damit sich selbst entlasten …

Regelwerke wachsen immer weiter

So weit, so gut. Aber leider entwickelt sich aus einfachen Regeln oft ein kontraproduktives Muster: Sie wachsen mit der Zeit. Für jeden auftretenden Fehler und jeden Sonderfall ergänzen wir die Regeln, damit dieser Fehler in Zukunft vermieden wird und jener Sonderfall abgedeckt ist. Treten doch wieder Fehler auf, suchen wir die Ursachen entweder in mangelnder Anwendung der Regeln oder in ihrer Unvollständigkeit. Also: mehr Training und mehr Checklisten.

Wie können wir einem solchen Wildwuchs der Regeln entgegenwirken? Wie können wir das eigene Team unterstützen, gute Entscheidungen zu treffen? Indem wir als Führungskraft an der kollektiven Entscheidungsfähigkeit im Team arbeiten.

Eine Frage der Entscheidungsfähigkeit im Team

An dieser Stelle hilft eine Unterscheidung von Regel und Entscheidung. Eine Regel grenzt die zur Verfügung stehenden Optionen ein. Eine Entscheidung brauchen wir immer dann, wenn trotz einer angewendeten Regel mehr als eine Option übrigbleibt.

Regeln fassen die bisher gemachten Erfahrungen zusammen und helfen uns, bereits gemachte Fehler nicht noch einmal zu machen. Gibt es eine geltende, brauchen wir nicht zu entscheiden. Das Anwenden einer Regel ist nämlich eigentlich gar keine Entscheidung, sondern eine Auswertung.

Entscheiden heißt: Wählen zwischen wählbaren Optionen. Scheiden durch eine Regel alle Optionen bis auf eine aus, sind diese nicht mehr wählbar. Dann gibt’s auch keine Entscheidung.

Regeln machen Entscheidungen überflüssig

Meistens ist es analytisch anspruchsvoll, die komplizierten Zusammenhänge zu eindeutigen Regeln zusammenzufassen. Gelingt das, können wir Personen damit einarbeiten, selbst knifflige Fälle zu bearbeiten. Wir könnten aber stattdessen die Bearbeitung dieser Fälle auch automatisieren. Dazu braucht es noch nicht einmal eine KI, das geht mit einfachen Regelmaschinen (Business Rules Engines – mein Kollege Björn Richerzhagen bietet dazu sehr gute Trainings.)

Häufig haben wir aber den Eindruck, dass wir mit einer genauen („sklavischen“) Anwendung aller Regeln doch nicht zum „richtigen“ Ergebnis kommen. Dann ist der Sachverhalt in Wirklichkeit nicht kompliziert, sondern komplex.

Komplex heißt, dass die Zusammenhänge nicht logisch zu durchschauen sind. Vielleicht sind die Prioritäten nicht so klar wie es scheint und schwanken – je nach Marktlage oder Tagesverfassung. Vielleicht kennen wir doch nicht alle Parameter und ihr mögliches Zusammenwirken. Vielleicht taucht eine Information auf, die in den Regeln nicht bedacht wurde. Vielleicht sind Informationen nicht so eindeutig, wie es die Regel braucht. Nur dann sprechen wir wirklich von einer Entscheidung.

Regeln werden angewandt, Entscheidungen abgewägt

Entscheidungen erfordern immer eine Abwägung. Sie sind immer ein Ausbalancieren von zwei oder mehr Werten, die man nicht gleichzeitig erreichen kann. Soll man eine Rabattregel aussetzen, um einen wichtigen Deal mit einem Kunden zu schließen, bevor es der Wettbewerber tut? Soll man eine Gehaltsvorgabe überschreiten, um einen wichtigen Mitarbeiter nicht zu verlieren? Soll man einen Produktionsauftrag stoppen, weil einem etwas komisch vorkommt? Das Abwägen von Werten geht nicht mit dem Taschenrechner.

Entscheidungen brauchen also ein gewisses Maß an „Willkür“. Wenn die Regel die Entscheidung nicht vorgibt, muss ein Mensch mit seinem Willen entscheiden. Das ist zwar Willkür, soll aber auch nicht beliebig sein. Das Unternehmen braucht konsistentes Verhalten gegenüber Mitarbeitenden und Geschäftspartnern. Wir sollten also daran arbeiten, dass alle Entscheider eine weitgehend gleiche Wahrnehmung von wichtigen Werten und Prioritäten haben. Das erfordert viel Kommunikation – einfache Regeln helfen da wenig.

Entscheidungen brauchen Übung. Und Übung braucht Fehler. „Aus Fehlern lernen“ heißt also nicht, den gleichen Fehler in Zukunft nicht wieder zu machen, sondern die kollektive Entscheidungsfähigkeit im Team zu verbessern. Zu viele Regeln im Geschäftsalltag verhindern genau dieses Üben und Lernen.

Wie kann man Kollektive Entscheidungsfähigkeit im Team stärken?

Entscheidungskompetenz bedeutet, dass Entscheider die Ziele und Werte und die Zusammenhänge ihrer Entscheidung verstanden haben. Fachwissen ist also unerlässlich. Aber es genügt nicht, Fakten nur auswendig zu lernen – es geht ums Verstehen. Häufig sind aber bei allem Fachwissen die Ziele und Werte nicht klar. Was wollen wir mit einer Entscheidung erreichen, was wollen wir nicht gefährden? Wir brauchen also Training für das individuelle Wissen der Teammitglieder.

Und wir brauchen Training für die kollektive Entscheidungsfähigkeit: Dazu gehören Stopp-Signale, wenn jemand sieht, dass etwas falsch läuft. Festgelegte Entscheidungsprozesse helfen, alle wichtigen Kriterien zu berücksichtigen, die richtigen Partner einzubeziehen, sich bei einer Entscheidung zu vergewissern. So verhindern wir übereilte oder erratische Entscheidungen.

Die wirkliche Führungsaufgabe für kollektive Entscheidungsfähigkeit im Team sind also nicht die Regeln und Checklisten. Vielmehr geht es darum, im Team ein gemeinsames Lernen zu unterstützen.

Foto von Headway auf Unsplash

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