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Führungskräfte stellen die Investition in einen umfassenden Auswahlprozess immer wieder in Frage. Lohnt sich Eignungsdiagnostik überhaupt? In diesem Artikel stelle ich die wichtigsten Aspekte zu dieser Entscheidung zusammen.

Wozu dient Eignungsdiagnostik?

Eignungsdiagnostik dient in erster Linie dazu, herauszufinden, ob das Wissen, Können und Wollen einer Person zu den Anforderungen einer Stelle passen. Sie hilft aber auch dabei, Personen gezielter anzusprechen, für die das Stellenangebot interessant sein kann. Das verringert den Streuverlust beim Personalmarketing und den Aufwand für unpassende Bewerbungen. Schon der erste Schritt im Prozess der Eignungsdiagnostik, die Analyse der Anforderungen, bewahrt Unternehmen vor folgenreichen Fehlentscheidungen.

Was gehört zur Investition in professionelle Eignungsdiagnostik?

Die Investition besteht hauptsächlich aus Zeit und Qualifikation. Wollen wir standardisierte Tests einsetzen, außerdem Geld. Wir brauchen Zeit für eine gute Analyse unserer Anforderungen, für die Konstruktion eines guten Auswahlverfahrens und für die Beschäftigung mit jeder einzelnen interessierten Person. Wir brauchen Methodenwissen, um in der Anforderungsanalyse auf den Punkt zu kommen, die passenden Interventionen im Auswahlprozess zu bestdimmen und in den Gesprächen mit Bewerbenden die wichtigen Eindrücke zu gewinnen. Mit standardisierten Testverfahren für Wissen, Intelligenz oder Konzentrationsfähigkeit können wir kognitive Voraussetzungen sicher überprüfen. Mit Fragebögen zur Persönlichkeitsbeschreibung können wir objektiv auf berufliche Orientierung, Arbeitsverhalten, soziale Kompetenzen und psychische Stabilität schauen. Angesichts dieser Investition kann man durchaus fragen: Lohnt sich Eignungsdiagnostik?

Geht Personalauswahl nicht auch einfacher?

Sicher kann man die Auswahl von Bewerbern auch ohne eine professionelle Eignungsdiagnostik schaffen. Die meisten Unternehmen tun das seit Jahrzehnten und sind damit mehr oder weniger gut gefahren. Wenn die Anforderungen klar zu benennen sind, geht es häufig darum, eine Person mit der entsprechenden Ausbildung zu finden. Sucht man einen Elektriker, fallen unweigerlich alle Personen aus dem Suchraster, die keine Ausbildung zum Elektriker vorweisen können.

Für viele Tätigkeiten können die Anforderungen in ähnlich einfacher Weise beschrieben werden. Dann geht es noch um die Bewertung von persönlichen Eigenschaften – da fragt man meistens, ob eine Person „zum Team passt“. Dabei verlässt man sich auf ein gut entwickeltes Bauchgefühl oder den gesunden Menschenverstand.

Die meisten Führungskräfte haben sich über die Zeit ein Set von Themen zurechtgelegt, die sie in einem Bewerberinterview mehr oder weniger standardisiert ansprechen. Sie wollen sich auch auf die interessierte Person einlassen und sich nicht durch einen festen Interviewleitfaden einschränken. Oft lassen sie sich dann im Interview treiben, wobei ihr Gesprächsanteil im Interview immer größer wird.

Wenn wir genügend Bewerber finden, die mit ihrer Qualifikation unsere gesteckten Einstellungshürden überwinden, dann ist das Risiko einer Fehlentscheidung überschaubar. Aus vielen im Grunde guten Bewerbern eine Person auszuwählen ist auch keine Kunst. Selbst Würfeln führt unter diesen Bedingungen zu recht guten Ergebnissen.

Wenn aber die Bewerber knapp werden, reicht Würfeln nicht mehr. Bei knapper Bewerberlage ziehen wir auch Bewerbungen in Betracht, die wir in besseren Zeiten von vornherein nicht berücksichtigt hätten. Die offensichtlich „tollen“ Bewerber sind meistens nicht lang auf dem Markt, da haben andere Unternehmen oft schneller zugegriffen. Gerade mittelständische Unternehmen sind häufig darauf angewiesen, die weniger offensichtlichen Potenziale zu heben. Zur Auswahl steht also eine Gruppe von Bewerbenden, von denen nur wenige „gut“ sind. Die zu erkennen, ist deutlich anspruchsvoller. Dann lohnt sich Eignungsdiagnostik.

Fehler erster und zweiter Art

Unsere Aufgabe ist es, für eine interessierte Person zwischen „geeignet“ und „nicht geeignet“ zu unterscheiden und die geeigneten Personen für das Unternehmen zu gewinnen. Für diese Unterscheidung nutzen wir unser Auswahlverfahren. Und dennoch wissen wir am Ende nicht, ob unsere Prognose richtig ist – die bewertete Person „in Wirklichkeit“ also geeignet oder nicht geeignet ist.

Die folgende Grafik verdeutlicht die Herausforderung. Sie zeigt auf der Waagerechten die Entscheidung des Unternehmens: Wir kommen zu der Prognose, dass eine Person unserer Einschätzung nach mehr oder weniger geeignet ist. Zur Veranschaulichung unterscheiden wir hier nur in „geeignet“ und „nicht geeignet“.

Auf der Senkrechten ist die gleiche Unterscheidung in „geeignet“ und „nicht geeignet“, hier ist aber die Realität gemeint. Wie geeignet ist die Person tatsächlich? Bei den Personen, die wir einstellen, haben wir eine Chance, das zu erfahren. Stellen wir eine Person als „geeignet“ ein und sie stellt sich später wirklich als geeignet heraus, haben wir einen positiven Treffer gelandet (im Bild oben rechts).

Lohnt sich Eignungsdiagnostik?

Bei der Bewertung von Kandidaten sehen wir meistens nur den „Fehler 1. Art“.

Müssen wir später feststellen, dass sie nicht geeignet ist, haben wir einen Fehler in der Auswahl gemacht. Das nennen wir den „Fehler 1. Art“ (im Bild unten rechts). Diesen Fehler können wir im Unternehmen sehen, dafür müssen wir uns verantworten, müssen uns mit Zweifeln an unserer Urteilsfähigkeit befassen. Darum versuchen wir, diesen Fehler zu vermeiden – zum Beispiel mit höheren Hürden für die Auswahl.

Entscheiden wir, dass eine Person nicht geeignet ist, und stellen sie folglich nicht ein, können wir in der Regel nicht überprüfen, ob unsere Bewertung richtig ist. Wir können also so tun, als wären alle Personen, die wir für ungeeignet halten, tatsächlich ungeeignet. Aber warum sollte das so sein? Auch hier gibt es immer beide Möglichkeiten: Wir liegen mit unserer Einschätzung richtig (Treffer negativ, im Bild unten links) oder falsch (im Bild oben links). Das nennen wir dann den „Fehler 2. Art“: Wir haben ein gutes Potenzial missachtet.

Solange wir genügend Bewerbungen bekommen haben, konnten wir mit der Möglichkeit des Fehlers 2. Art gut leben – es finden sich ja genügend Personen, die geeignet erscheinen und wir konnten die Hürden hoch genug ziehen, um den Fehler 1. Art zu vermeiden.

Das waren noch Zeiten! Aber die Bedingungen haben sich geändert. Es bewerben sich nicht mehr genügend geeignete Personen, um den Fehler 1. Art einfach durch höhere Einstellungshürden zu minimieren. Der demografische Wandel macht es notwendig, dass wir uns mit dem Fehler 2. Art befassen. Dann lohnt sich Eignungsdiagnostik.

Lohnt sich Eignungsdiagnostik?

Wenn wir uns allerdings nicht leisten können, gute Bewerber zu übersehen und dem Wettbewerb zu überlassen, dann brauchen wir Methoden, die auch bei einer dünneren Ausgangslage die wenigen geeigneten Bewerber in der Grundgesamtheit erkennen. Das erreichen wir mit folgenden Qualitäten im Auswahlverfahren:

  • Wir formulieren präzise die fachlichen und überfachlichen Anforderungen, die benötigt werden, um den fraglichen Job gut zu machen. Seien wir ehrlich: Welche Anforderungen muss man wirklich erfüllen?
  • Wir verwenden Fragen, Simulationen oder Testverfahren, die geeignet sind, diese Anforderungen zu überprüfen. Wir setzen diese Verfahren in gleicher Weise für alle Bewerbenden ein und vermeiden sachfremde Vorurteile so gut es geht.
  • Wir finden heraus, welche Personen mit ihrer Motivation, ihrer beruflichen Orientierung und ihrer Sozialkompetenz gute Chancen haben, sich bei uns im Unternehmen gut zu entwickeln. Diese Personen sprechen wir im Personalmarketing gezielt an.

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