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Prozessgesteuerte Digitalisierung als RESET-Knopf

Hat das Prozessmanagement ausgedient? Da gibt es Teams für Prozessmanagement, die ihre Zeit damit zubringen, eine umfangreiche Bibliothek an Prozessmodellen zu verwalten. Und da liegt schon der Hase im Pfeffer: Mehrere Leute, nur um Prozessmodelle zu verwalten, um Modellierungskonventionen zu überwachen und Objekte in Prozessmodellen zu pflegen.

Das ist pure Administration. Solche Aufgeben schaffen keinen Mehrwert. Interessanterweise werden diese Aufgaben aber als „Prozessmanagement“ bezeichnet. Gerade so, als würde man Prozesse durchs Verwalten verbessern.

Wenn wir Prozessmanagement ernst nehmen, dann geht es doch um gemeinsame Verantwortung für Ergebnisse, Kundenzufriedenheit oder Wirtschaftlichkeit. Um Verantwortlichkeit auch über den eigenen Zuständigkeitsbereich hinaus. Um Zusammenarbeiten, Mitdenken und Weiterkommen. Aber doch nicht ums Verwalten von Prozessmodellen!

„Hausmeister im ARIS-Haus“

Viel zu viele Prozessmanager in unseren Unternehmen sind zum Hausmeister in ihrem „ARIS-Haus“ geschrumpft. (Das in der Vergangenheit sehr verbreitete Prozessmodellierungsprogramm ARIS bezeichnete die Bibliothek aller Modelle im Unternehmen als „ARIS-Haus“.) Die meisten Prozessmanager sind darüber nur noch frustriert.

Wie kommt es, dass Prozessverwaltung einen so großen Raum einnimmt und dabei so wenig Nutzen stiftet? Zum einen sind die meisten Unternehmensmodelle viel zu detailliert und ufern in alle Richtungen aus. Statt präziser und verständlicher Orientierung finden die Nutzer ellenlange Prozesstapeten, aus denen sie nicht schlau werden. Dann hat auch niemand Lust, in den Modellen zu lesen, und sie gammeln in der Prozessbibliothek vor sich hin.

Zum anderen stimmen die Modelle gar nicht mehr mit der Realität in den Teams überein. Die Prozesse im echten Leben entwickeln sich weiter, es entstehen „Schleichwege“ und Abkürzungen, es gibt neue Anforderungen, neue Softwarefunktionen, neue Formulare und so weiter. Oft müssen Hunderte von Prozessmodellen aktuell gehalten werden – da kommt einfach keiner mehr hinterher. Also veraltet die Prozesslandschaft Woche für Woche.

Der Kern bleibt auf der Strecke

Der eigentliche Kern von Prozessmanagement – die gemeinsame Verantwortung und die Verbesserung der Zusammenarbeit – gerät bei all der Verwaltungsarbeit in Vergessenheit.

Das liegt auch daran, dass es sich dabei um „weiche“ Faktoren handelt, die man nicht sofort sieht und auf die man nur schwer Einfluss nehmen kann. Prozessmodelle sind dagegen gut sichtbar, man kann sie zählen, überprüfen, freigeben, veröffentlichen, verwalten. Kurz: Mit Prozessmodellen sind die Prozessmanager gut beschäftigt und müssen sich mit dem sozialen Brimborium nicht befassen. Wie praktisch!

Raus aus der Hausmeisterbude!

Wir brauchen einen RESET-Knopf für das Prozessmanagement, um die Prozessmanager aus ihrer Hausmeisterbude zu befreien. Dazu müssen vor allem drei Parteien eng zusammenarbeiten: Personalentwicklung, IT-Management und Prozessmanager. Zusammen können diese drei das Unternehmen fit machen für die Digitalisierung.

1. Die Personalentwicklung

Prozessmanagement ist Führungsentwicklung

In der Digitalisierung überleben Unternehmen, die ihre Prozesse jederzeit flexibel an geänderte Bedingungen anpassen können. Dazu müssen alle die Prozesse kennen. Die Sicht auf Prozesse bestimmt das Führungshandeln. Also beginnt jedes Prozessmanagement damit, dass die Führungspersonen ihre Rolle und ihre Führungshaltung reflektieren und die gemeinsame Verantwortung für die Ergebnisse in den Mittelpunkt stellen.

Führungs(kräfte)entwicklung und Prozessmanagement müssen dazu aus einem Guss kommen. Prozessmanagement ist nicht ein Personal-Entwicklungs-Angebot unter anderen, sondern es prägt alle Maßnahmen der Führungsentwicklung. Sorgen Sie also dafür, dass Personalentwicklung und Prozessmanagement in das gleiche Boot steigen.

2. Das IT-Management

Die IT braucht eine Process-Engine

Ist Ihre IT auf eine prozessgesteuerte Digitalisierung eingeschworen? Jede Verbesserung von Prozessen braucht schließlich einen reibungslosen Informationsfluss quer über alle Medien und Anwendungen. Früher oder später kommt jedes Prozessprojekt dahin, dass irgendeine Applikation nicht mitspielt und die IT das Projekt nicht unterstützen kann.

Dieser Konflikt gehört zur Vergangenheit, wenn die IT sich die prozessgesteuerte Digitalisierung auf die Fahne schreibt. Praktisch heißt das: Sie setzen auf eine BPMN-Process-Engine als zentrales Infrastrukturelement in der IT-Landschaft. Dieser Service sorgt dafür, dass alle Anwendungen der IT vom Prozess her gesteuert werden. Dann unterstützt die IT Ihre Prozesse wirksam. Und dazu muss sie nicht für jede Anforderung eine „Sonderlocke stricken.“

3. Die Prozessmanager

Nur noch ausführbare Prozessmodelle

Prozessmanager entrümpeln die Prozessmodelle. In der prozessgesteuerten Digitalisierung gibt es nur noch solche Prozessmodelle, die auch von der Engine ausgeführt werden. So sind Sie immer sicher, dass die Prozesse im „echten Leben“ mit denen im Prozessmodell übereinstimmen, denn die Prozess-Engine steuert die Aufgaben von Anwendern und Applikationen genau nach diesem Prozessmodell.

Früher haben wir zwischen „beschreibenden“ und „ausführbaren“ Prozessmodellen unterschieden. Vergessen Sie es! Am Ende entscheidet nur noch das, was von der IT ausgeführt wird. Prozessbeschreibungen veralten und verkümmern. Wenn wir richtig modellieren, ist das fachliche Modell auch das ausgeführte Modell.

Für Anleitungen und Beschreibungen können Sie dieses Modell mit Texten, Bildern, Videos etc. anreichern, für die Ausführung bekommen die Objekte noch zahlreiche technische Attribute – aber das Modell ist dasselbe.

Dieses Prinzip sorgt automatisch auch dafür, dass die Prozessmodelle klein und überschaubar bleiben. Denn wir pinseln nicht mehr jede „Wenn dann“-Bedingung in einer Verzweigung des Modells nach. Prozesse beschreiben die Sequenz und Regeln die Geschäftslogik. Wenn ein Aufgabenkomplex von einer Rolle zusammenhängend zu bearbeiten ist, dann ist das eine Aktivität. Ein Kästchen im Modell, mehr nicht.

Netzwerk von Beratern und Integratoren

Im Konzept der prozessgesteuerten Digitalisierung sehe ich den Schlüssel zu einem wirklich wirksamen Prozessmanagement. Ich möchte mich dabei aber nicht mit fremden Federn schmücken. Das Konzept geht zurück auf den Informatikprofessor Volker Stiehl von der TH Ingolstadt. Er hat es bereits 2013 in seinem Buch „Prozessgesteuerte Anwendungen entwickeln und ausführen mit BPMN“ vorgestellt. Ich freue mich sehr, dass Volker Stiehl dazu einen Qualitätszirkel von erfahrenen Berater*innen und IT-Integratoren zusammengerufen hat – und es ist mir eine große Ehre, in diesem Kreis dabei sein zu dürfen.

Wir entwickeln dazu gemeinsam unser Know-how weiter und unterstützen uns gegenseitig, damit wir für unsere Kunden wirksame Lösungen zur prozessgesteuerten Digitalisierung anbieten können. Als Prozessberater ist es für mich besonders wichtig, die notwendigen Know-how-Träger für die technische Umsetzung auf Zuruf bei der Hand zu haben.

Mein Beitrag in diesem Kreis ist es vor allem, die prozessgesteuerte Digitalisierung in das große Bild der systemischen Organisationsentwicklung zu integrieren.

Das E-Book prozessgesteuerte Digitalisierung

Die Methode prozessgesteuerte Digitalisierung .habe ich für Sie in einem kompakten E-Book zusammengefasst. Hier finden Sie eine Einführung in die Architektur prozessgesteuerter Anwendungslandschaften und ein Vorgehensmodell, wie Sie Ihre Prozesse erfolgreich digitalisieren. Das „Management Summary“ hilft Ihnen, das Thema im Unternehmen zu platzieren.

Buchcover Systemisches Prozessmanagement
Lesen Sie bereits jetzt kostenfrei einen Auszug aus meinem neuen Buch.

„Systemisches Prozessmanagement: Unternehmen digitalisieren. Teams mobilisieren.“
Schäffer-Poeschel, Oktober 2021

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